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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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können in einem der nicht so bekannten Viertel. Schnaps?»
    Der alte Mann wies auf die gut gefüllte Bar, wo mehrere alte Grappa-Flaschen standen.
    Â«Oder vielleicht einen Tee?»
    Der Interviewer schüttelte den Kopf. Das Vorgeplänkel würde er dieses Mal nutzen, um in Kontakt zu treten, er hatte sich vorgenommen, dieses Mal dranzubleiben am Thema, am Mann, seiner Geschichte, seinem Geheimnis – und auch am Dreh, an den jetzt bald anlaufenden Arbeiten zu
Gleiwitz
.
    Es war unglaublich gewesen. Sie hatten ihn vor einer Woche wieder in die Redaktion bestellt. Es hatte eigentlich keinen Anlass gegeben, er hatte sich aber auch nicht zu fragen getraut; schweigend hatten sie ihn gemustert, der Chefredakteur, sein Stellvertreter, die Redaktionsassistenten. Dann hatte die Sekretärin Kaffee gebracht, auch ihm, und da hatte er schon gewusst, dass es nicht um seine endgültige Kündigung ging. «Der Produzent hat nach Ihnen gefragt», hatte der Chefredakteur gesagt und mit der flachen Hand auf den Tisch geklopft, als schlüge er einen unhörbaren, nur ihm bekannten Takt.
    Â«Gerufen wäre das richtige Wort», hatte der Stellvertreter gemurmelt und der Chef hatte sich über den Schreibtisch gebeugt, als wollte er ihm die Hand schütteln. «Wir schicken Sie wieder los.»
    Man hatte ihm das Aufnahmegerät wieder ausgehändigt, seine Unterlagen, die kleineren neuen Artikel von anderen über
Gleiwitz
– nichts, was er nicht schon besser gemacht hatte, man biss sich die Zähne aus an dieser Produktion, der alte Mann hatte sein Schweigegelübde wieder eingeführt, sprach mit niemandem von der Presse; die Maschine lief wieder im Vermarktermodus, er ließ durchsickern, was ihm gefiel, wann es ihm gefiel, mehr nicht.
    Einen guten Rat bekam der Interviewer noch mit auf den Weg; er kam vom Stellvertreter. «Er mag Sie, das ist klar. Spielen sie diese Karte aus. Sein Bedürfnis nach einem Zuhörer, einem Bewunderer. Was weiß ich, was dahintersteckt. Nutzen Sie das, bringen Sie uns diesmal Ergebnisse mit. Versuchen Sie, an ihn ranzukommen. Egal wie.»
    Und jetzt saß er da, in Venedig, im
Danieli
, das Gerät wie ehedem aufgebaut auf dem Beistelltisch, der alte Mann funkelnd und mit einem angedeuteten Lächeln vor ihm.
    Â«Wie sind Ihre Freunde? Meinen Sie, sie hätten Lust, heute Abend essen zu gehen? Ich habe gern junge Leute um mich.»
    Â«Es sind keine richtigen Freunde», antwortete der Interviewer, «eher … Kollegen.»
    Â«So, also eher Kollegen, na, macht nichts, dann lade ich nur Sie ein. Ist mir eh lieber. Sich lieber Zeit nehmen fürs Wesentliche, das hängt mit meinem Alter zusammen. Ich kenne da dieses kleine Restaurant am
Campo dei Mori
und die machen das beste Tintenfischrisotto der Welt. Das
Filetto di manzo
ist auch nicht schlecht, in Balsamicosoße. Ich esse da immer, wenn ich hier bin. Lohnt sich nicht, weiter zu suchen. Wenn man das Beste kennt, muss man das Beste genießen, solange man kann. Und solange es noch das Beste ist. Ralph wird gleich anrufen und für uns reservieren. Es ändert sich doch sowieso alles viel zu schnell auf der Welt. Übrigens, Tintoretto hat in der Gegend gelebt! Gut, aber deswegen sind Sie nicht hier, wollen Sie sagen, ich sehe, Sie haben ihr Tonbandgerät wieder aufgebaut. Ich freue mich, dass Sie da sind, wirklich. Ich weiß, ich war in Cannes einfach neben der Spur. Fangen wir also an.»
    Der Interviewer sah aufs Gerät. Alle Pegel im grünen Bereich.
    Â«Sie wollten ja mehr über mich wissen. Mehr. Aber was bedeutet das: ‹mehr›? Meine Vorlieben, meine Taten, die Umstände meines Erfolgs, meine privaten Eskapaden – oh, ich sehe, Sie zwinkern –, die Dinge, die ich noch vorhabe mit meinem Leben? Was macht einen Menschen wirklich aus? Was man getan hat, was man nicht getan hat. Das sindalles nur Worte, die Schwingen eines Vogels, die die Luft kurz aufwirbeln, Blasen in einem leeren Raum. Wie soll man erklären, warum man so und nicht anders gehandelt hat. Wie man auf Zufälle reagiert hat, auf Schicksalsschläge, auf kleine eigene Triumphe, auf Fehler. Man ist so geworden, wie man ist. Basta. Aber warum, das weiß keiner. Ja, in meinem Alter stellt man sich diese Fragen nur allzu häufig. Weil man auf das Ende zugeht, aber genau da noch nicht sein will. Niemals ankommen, immer weitermachen. Das wäre mein Traum. Sehen Sie? Sie

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