Traeumer und Suender
Hosenbein.
«Ich hatte damals noch keine Kontakte, als ich an die Ostküste und dann später nach Kalifornien kam; gut, mein Vater, sein Name sagte noch ein, zwei Leuten in der Branche was â Russen! â und die schüttelten mir die Hand, als ichherkam â Sie merken, wie das Erzählen einen verwirrt, die Orte und die Zeiten geraten einem durcheinander, ich tue so, als wären wir jetzt wirklich in Hollywood und nicht in Venedig â na ja, es passt irgendwie.»
Der alte Mann hatte die Arme gehoben, als wollte er ihn auffordern, sich das fürstliche alte Zimmer mit den zwei Kaminen, der Kassettendecke, den leicht angeschimmelt riechenden Brokattapeten und dem im hinteren Teil des zweiten Zimmers â das durch eine groÃe Flügeltür abgetrennt werden konnte â stehenden Himmelbett noch einmal genau einzuprägen.
«Kulissenstädte sind das, aber das ist eigentlich immer nur ein dummes Vorurteil gewesen, über Hollywood genauso wie über Venedig. Venedig, wissen Sie, das war damals das New York der Welt, von allem das Beste, eine Mischung zusammengeraubter Träume, eine Alchemistenstadt, die sich aus Einzelteilen immer neu erfindet, die dadurch aber eine ganz eigene Realität entfaltete. Warum? Weil die Menschen, die sich auf ihren flachen Booten hierhergeflüchtet hatten, so sehr an Träume glaubten. Klingt das nicht nach New York? Oder Hollywood? Hollywood war von Anfang an ein wahrer Hort für Emigranten, für Flüchtlinge, die etwas aufbauen wollten. Viele Juden. Und lange vor â33. Denken Sie an Zukor, den späteren Paramount-Boss, oder Laemmle. Louis B. Mayer und Jack Warner sowieso! Immigranten, Wirtschaftsflüchtlinge würde man heute sagen. Hatten in Amerika auch keine richtigen Chancen auÃerhalb der Textilindustrie, Zukor hat Pelze verkauft, aber dann hatten ein paar von den Leuten einfach den richtigen Riecher.»
Der Produzent rieb sich die Nase. Eigenartig, dachte der Interviewer. Er hatte nie auf diese Nase geachtet. Sie war eingefallen, abgeflacht, mit einer Kuhle vorn auf der Wölbung über den Flügeln. Ein kleines Organ, fast zu zierlich für diesen groÃen Kopf, eine Jungennase, wie die eines Musikers. Warum der Interviewer gerade jetzt an Musik denken musste, wusste er selbst nicht. Vielleicht weil ihm Erlenberg durch diese Nase auf einmal schön vorkam, so zerbrechlich. Waren Musiker zerbrechlich? Er wurde in seinem Gedankenspiel gleich unterbrochen. Der Produzent hatte die Finger von seiner Nase genommen und rieb sie unumwunden mit einem angedeuteten Lächeln aneinander, das universale Zeichen für Geld.
«Ein neues Medium, eine neue Maschine, eine, die Träume erfüllen konnte, das war genau das, was diese Leute aus der alten Welt mitgebracht hatten. Sehnsüchte. Ein Dorf in einer Wüstenstadt, das war Hollywood zunächst, ein Ort ohne Gesicht, aber genau wie New York eine Stadtnation war, die an sich glaubt, die sich an sich selbst berauscht, fing man da im Staub an, etwas aus dem Boden zu stampfen, das die ganze Welt verändern sollte.»
Der alte Mann sah verträumt auf den riesigen alten Teppich, als könnte sich dort aus den verschlungenen ornamentalen Mustern und dem nicht vorhandenen Staub etwas erheben.
«Gut, Hollywood ist nicht New York, es ist gewissermaÃen sein imaginäres Gegenstück. Wenn Sie in New York ankommen, saugt die Stadt Sie erst einmal aus. Das war damals in den Siebzigern so, das ist heute so, das wird immer so bleiben. Hier können Sie nur leben, wenn Sie teilnehmen wollen an etwas GröÃerem, wenn Sie sich damit abfinden, dasses immer noch etwas anderes, Wichtigeres gibt als Sie selbst. Eine gute Lehre, so zu leben. Für eine Weile. Was meinen Sie, wie viele Tänzer, wie viele Schriftsteller, wie viele Künstler, Theatermacher und Schauspieler ich kennengelernt habe, die es alle nach New York gedrängt hat, weil sie es ernst genommen haben, all die Songs und Sprüche von «First we take Manhattan, than we take Berlin». Aber geendet sind die meisten ausgebrannt als Kellner, Garderobenmädchen, Museumswärter mit schäbigen Apartments in Brooklyn und Queens, die sie mit grässlichen Leuten teilen mussten. Und dafür mussten sie auch noch fast ihr ganzes Geld für die Miete ausgeben. All die frischen, jungen Gesichter, denen man im Monatstakt zusehen konnte, wie sie versoffen, versifft und immer älter und
Weitere Kostenlose Bücher