Traeumer und Suender
fassbaren Freude gewichen. Seine Stimme klang heller, beschwingter. Velder schob das Mikrofon zurecht. Eine Verlegenheitsgeste, er hatte in den letzten Minuten so oft bewundernd genickt, so sehr seine Zustimmung signalisiert, dass er sich sicher war, er würde es übertreiben, wenn er damit weitermachte, er würde einfach abwarten müssen, wie sich die Erzählung entwickelte, den richtigen Moment abpassen für die nächste Frage.
«Ohne die Unterstützung von Coppola, der den Film mitproduzierte und nach
Godfather
so viel Geld und Einfluss hatte, dass er unsere Truppe bei Universal und vor allem George Lucas decken konnte, wäre der ganze Deal wohl geplatzt. Lucas wollte unbedingt vollkommen unbekannte Jugendliche als Schauspieler, unverbrauchte Gesichter. Nun, Francis hatte seiner Gesellschaft â American Zoetrope â zehn Prozent am Gewinn zusichern lassen, da hatte sich das Risiko bald gelohnt. Ach was, es war ein Triumph! Vergessen haben sie mich danach nie wieder. Der Mann mit dem Midasinstinkt. The German. Mr Campaign.»
Der blonde Helfer trat ins Zimmer.
«Ralph? Ist es schon wieder so weit? Ja, gut. Würden Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen? Ralph muss zapfen. Er nimmt mir wieder Blut ab. Er ist nicht nur ein guter Butler, ein hervorragender Sekretär, er ist auch meine ewig besorgte Krankenschwester. Stimmt doch, Ralph, nicht wahr?»
Ralph stellte eine altmodisch verchromte Nierenschale auf den Tisch vor dem Fenster. Der Interviewer konnte Venendrossel, steril verpackte Spritzen, Nadeln und Tupfer erkennen. Als der Hüne seinen Blick bemerkte, zwinkerte er ihm süffisant zu und fing, während er sein Geschirr auspackte und die Spritze zusammensetzte, an, Shakespeares Judenmonolog aus dem Kaufmann von Venedig zu deklamieren: «Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht â¦Â» Er hatte eine faszinierend glockenhelle, modulierte Stimme, die gar nicht zu seinem alternden, überbreiten Bodybuilderkörper passte. Und er sprach mit stark amerikanischem Akzent. Der Interviewer war verwirrt. Ein ehemaliger Schauspieler? Einer von diesen Schiffbruch-Off-Broadway-Existenzen, von denen der Alte gerade erzählt hatte? Wer war dieser Ralph eigentlich? Der alte Mann hatte währenddessen unter Ãchzen sein Jackett auf Ralphs Arm abgelegt und den rechten Hemdsärmel aufgekrempelt.
«Pass auf Ralph, dass du keine Flecken machst», wandte er sich an den Hünen, der ihm â wirklich sehr professionell â den Schlauch um den Oberarm band, um das Blut zu stauen.
«Sie können, wenn es Sie stört, auch einfach die Augen zumachen. Ah, das konnte ich auch noch nie, das eigene Blut sehen. Obwohl ich das nach den letzten Monaten doch gewohnt sein sollte. Aber es ist gar nicht die Farbe oder das Gefühl, dass einem einer da das Leben aussaugt. Es ist diese Kälte beim Eintritt der Nadel. Als träte der Tod selbst ein. Gruselig. Mir wird dann immer gleich schlecht.»
Dem Interviewer wurde ganz übel davon. Er hatte nicht hingesehen, aber die Beschreibung des alten Mannes erinnerte ihn an all die Male, an denen er hilflos dagelegen unddasselbe schwummerige Gefühl bekommen hatte, wenn man ihm in die Vene stach.
«Ist gut Ralph, ich drücke den Finger ganz fest drauf, ich will ja nicht, dass du mein Margiela einsaust.»
Es ist doch Ihr Blut, dachte der Interviewer bei sich, Ihr Blut würde Ihr Hemd einsauen, nicht das des Butlers oder was auch immer der Hüne eigentlich war, er hatte das Blut nur gezogen. Ralph nahm die drei unterschiedlich groÃen Kolben und legte sie in die Schale. Er summte leise Lohengrin, «Nun sei bedankt, mein lieber Schwan», als er an dem Interviewer vorbeiging, eine Spur zu nah. Velder roch süÃlichen Schweià und die kalten Reste des Desinfektionsmittels. Ob der Adlatus eine Zentrifuge im Nebenraum hatte oder ein Blutsenkungsmessgerät? Vielleicht gab er die Proben aber auch nur beim Hotelarzt ab und lieà sie in einem Labor auswerten. Das war das Wahrscheinlichste. Ralph lächelte, als er seinen Blick bemerkte, hängte das Jackett des alten Mannes auf und ging mit den Blutabnahmeutensilien aus dem Zimmer.
«Wo waren wir? Hollywood! Hollywood muss man grundsätzlich verstehen. Wie arbeitet das Ganze denn? Die Traummaschine, die Medienindustrie. Zum selben Zeitpunkt, als Hollywood mit
Birth of a Nation
seinen narrativen Kinostil erfindet, diesem, wie Sie wohl sagen
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