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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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gäbe ich Ihnen mein Bestes, mein Intimstes. Wie jeder gute Schauspieler das tun würde, wenn man am Welterfolg schnuppert.
    Na gut. Ich gebe Ihnen etwas für Ihren Stoff. Ich hatte mich also hochgearbeitet in Hollywood. Die Sache mit Jane war vergessen, dachte ich, ich hatte ein kleines Haus in Malibu, das damals noch nicht wirklich schick war, eher für Surfer interessant, die besessen die Wetterberichte studierten, weil sie keinen Sturm draußen auf dem offenen Meer verpassen wollten, der vielleicht Wellen machte, wie sie sie noch nie im Leben erlebt hatten. Man ging den Strand entlang, es gab ein, zwei Fitnessfanatiker, die rannten, aber niemand joggte, schon gar nicht in so merkwürdigen Klamotten. Alles war noch aus Baumwolle, man konnte die Schweißflecken sehen.
    An diesem Strand habe ich Josie getroffen, die Tochter von Wechsler. Wechsler war einer der mittleren Bosse bei United Artists, die damals noch im Rennen waren. Und er wollte mich abwerben. Was ihm nicht gelang, aber Josie gelang es.
    Ihre Mutter war Koreanerin, Wechsler und sie hatten sich gleich nach dem Krieg kennengelernt, als sie vor einer Bar in Long Island von zwei Matrosen belästigt wurde. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das erklären soll, aber die Erzählung von Josie hat sich mir ins Ohr eingebrannt. Ich kann sie hören, ich sehe sie vor mir, mit einem weggetretenen Ausdruck im Gesicht. Sie erzählt mit einer Mädchenstimme, sie erinnert sich. Nein, es ist eher so, als wär sie dabei. Dabei, sie steckt nicht in der Haut ihrer Mutter. Obwohl sie das mit ihrer Erzählung versucht, sich an ihre Stelle zu versetzen. Aber Josie sieht zu. Durch die Geschichte, die ihr ihre Mutter wieder und immer wieder erzählt hat, sah sie zu. Und vielleicht ist das die größte Schmach – für immer Zeuge dieser Sache zu sein. ‹Hey, Schlitze›, haben die beiden gesagt, sie solle sich hinter der Bar auf den Eisschrank legen, dann würden sie sie schon kaltmachen, wie sie das mit den anderen Schlitzen drüben in Okinawa getan hätten. Sie haben ihr den Rock hochgeschoben, und als sie sich gewehrt hat, schlug sie der größere, ein Riese mit zwei weit vorstehenden Zähnen, das Mammut, so hat ihre Mutter den immer genannt, ins Gesicht, sodass sie fast ohnmächtig wurde. Die Eismaschine unter ihr brummte, der Deckel mit dem Blechgriff schmerzte sie im Rücken, das Metall war kalt. ‹Dir wird schon heiß werden, Schlampe. Spätestens, wenn du das hier drin hast, Süße.› Der Größere machte seine Hose auf. Sie konnte sich nicht befreien. Als es vorbei war, ließen das Mammut und der andere sich von ihr ihren Lippenstift geben und schmierten ihr ‹Hure› auf die Stirn. Es hat ihr nicht geholfen, dass sie sagte, sie sei Koreanerin, dass ihre Familie schon seit zwei Generationen in Amerika lebte, ihr Bruder auch in der Armee gewesen war. Josie wusste auch nicht genau, ob das alles wirklich so passiert war, ihre Mutter erzählte ihr die Geschichte nur, wenn sie betrunken war oder Tryptophan genommen hatte, und sieerzählte sie jedes Mal anders. Nur dass ihr Vater sie damals gerettet habe, dass er zum Wasser Abschlagen in die Gasse gekommen sei, sie da habe wimmern hören, mit zerrissenem Kleid über der Eismaschine, das Wort Hure auf der Stirn. Das blieb gleich. Er wäre nähergekommen, habe sie beruhigt, ihr seine Jacke umgelegt und ihr mit seinem Taschentuch und Eis aus der Truhe dieses dreckige Wort entfernt. Dann hätte er sie nach Hause gebracht. Und wie es dann weitergelaufen war, darüber gab es unzählige Versionen. Josie hatte ihm keine erspart. Sie erzählte diese Geschichte, als wäre in ihr nicht nur das Geheimnis ihrer Mutter, sondern auch das ihres Vaters aufgehoben. Ja, vielleicht auch das von ihr selbst. Ich nahm sie dann in den Arm, und manchmal schob sich dieses Bild der beiden Matrosen über mich, ich konnte sie vor mir sehen, als wäre ich einer von ihnen gewesen, Josie unter mir, auf der Eismaschine, das wundervolle, fast zerbrechliche Gesicht mit den pflaumenfarbenen Lippen.
    Ich war erstaunt von der Macht, die die Vergangenheit auf uns ausübte. Ich begann damals auch, meine Mutter anders zu sehen, ihren Tod in dem Keller, wo sie mich vor den Bomben versteckt hatte. Das löste körperliche Reaktionen aus, ich will Ihnen das ersparen, aber da war Josie, und sie hielt mich fest, wenn ich davon erzählte und heulte

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