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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Goeritz
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allein sind mit unseren Träumen. Im Dunkeln, neben den anderen. Aber allein. Deshalb ist das Kino der Ort fürs perfekteRendezvous. Sie können sich spüren, Sie sehen die gleichen Bilder an, Sie fühlen gleich, aber bleiben doch voneinander verschieden. Wenn Sie in der richtigen Sekunde die Hand hinhalten und sie ergriffen wird, dann ist das der Beginn einer wirklichen Liebe. Wenn schon nicht zu dem Menschen, dann wenigstens zu dieser Situation, verstehen Sie? Wir wollen geliebt und gehalten werden, im Angesicht all des Glücks und des Leidens und des Todes. Das ist das Geniale am Film! Dass es beide Situationen erschaffen hat. Den gemeinsamen Traum und die körperliche Nähe. Wie wollen Sie das vor dem Computer erleben? Wie soll Ihr Micropad, Ihr Telefon, Ihre ganze Schaltästhetik jemals diese Begegnung zweier wirklicher Körper vor der Projektionsfläche eines Traums ersetzen? Wie gefällt Ihnen mein kleines Höhlengleichnis? Höllengleichnis! Zu platonisch? Das ist doch alles nur Illusion? Ja, Sie haben recht, mein Lieber. Aber der Ort, an den Platon die Menschen führt, ist voll der starren Geometrie der ewigen Dinge, der wirklichen Ideen, von denen alles andere nur ein Abglanz ist. Glauben Sie nicht, dass das eine noch größere, noch totere Welt ist, als die, aus der wir zu entkommen versuchen? Weil wir wissen, dass wir sterben – sagen wir im Fall einer Krankheit ein Vorzeichen des großen Siechens sehen –, müssen wir einen Weg finden, damit zurechtzukommen. Vielleicht erklärt das unsere Faszination durch Gewalt. Der Mensch ist das einzige Tier, das weiß, dass es stirbt. Deshalb beschäftig sich unsere Kultur exzessiv mit allem, was mit dem Sterben zu tun hat. Mit Geburt, Gewalt, Sex, Mord, allem, was Grenzen überschreitet, uns dem Unerklärlichen näherbringt. An den Tod zu denken ist unsere Obsession, gerade weil wir nicht an ihn denken wollen; wie immer ist das Verbotene das, was uns am meisten fasziniert. Und für Leute, die fummeln wollen, ist das Kino eh das Paradies.»
    Der Interviewer nickte resigniert, wechselte dann den Chip und machte dem Produzenten ein Zeichen, als er mit der Aufnahme fortfahren konnte.
    Â«Aber wir waren bei Face- oder sonst wie-book. Was, glauben Sie, sind die Gründe für dieses erfolgreiche ‹Wir geben freiwillig unser Leben ab›, und das noch nicht einmal zur Unterhaltung? Das macht mir Angst. Aber vielleicht darf man sich darüber gar nicht so aufregen, die Leute, die das erfunden haben, sind eigentlich genauso, wie wir waren – nur vierzig, fünfzig Jahre jünger. Ein System, das nicht mehr der Staat kontrolliert, das nicht mehr von den traditionellen Konzernen lanciert wird. Und alle User denken, was sie tun, ist unschuldig, frei, wäre nicht fremdgesteuert – ein mehr an Pluralität, an Möglichkeit, Demokratie. Ist das unsere heutige Vorstellung von Utopia? Der nächste Klick als Kick? Fernsehen war dagegen fast unschuldig. Aber genug der Unkerei, nur weil wir da nicht hinterhergekommen sind. Hollywood hat was verpasst. Aber warten Sie ab, der Zug ist noch nicht abgefahren. Unser
Gleiwitz
-Film steht jetzt schon auf Facebook. Es gibt eine Twitter-Kampagne, ich habe da einen jungen Assistenten, der sich was ausgedacht hat. Es gibt Nachrichten direkt vom Set! Und auf anderen Portalen gibt es bereits ein paar absolut gruselige Szenen zu sehen. Die ganze Sache erzeugt
Traffic
, wie man ihn sich nur wünschen kann. Aber haben Sie keine Angst, wir werden versuchen, das Ganze in eine Debatte zu führen, einen virtuellen Diskussionsraum einrichten; unsere Gespräche haben mir zu denken gegeben. Wirklich. Und alles, was Sie machen möchten, mit mir, mit Ridley, bleibt natürlich exklusiv.
    Mein Mund ist ganz trocken. Möchten Sie noch einen Tee?»
    Der Interviewer schüttelte resigniert den Kopf. Es gelang ihm einfach nicht; was auch immer er anstellte, der alte Mann wich immer wieder aus, kreiste um Unwesentliches, zog Schleifen, lenkte ihr Gespräch von den wirklich interessanten Dingen seines Lebens weg.
    Â«Ich verstehe. Sie und ich – wir haben ja auch einen Deal. Ich erzähle Ihnen die Wahrheit. Und Sie schreiben sie auf. Oder eben umgekehrt. Jedenfalls entsteht genau das, was ich Ihnen gerade beschrieben habe: Ich bin Ihr Star, Sie machen mich zu einem, zumindest einem kleinen. Und ich? Ich tue so, als würde ich Sie gewähren lassen, als

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