Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
nichts mit am Hut.
Und außerdem, wie schon gesagt, verschwende ich jetzt keine Zeit mehr auf dieses bescheuerte Liebeszeugs. Das war gestern, und heute ist ein neuer Tag.
Weshalb ich mich dann auch am Montagmorgen wie ein ganz neuer Mensch fühle; ich wache vor dem Wecker auf, ziehe
Klamotten an, die im Schrank gehangen haben, und mache mich mit einem dicken Zeitpolster auf den Weg zur Arbeit.
»Das war gestern, und heute ist ein neuer Tag«, murmele ich, während ich die Straße entlanglaufe. »Das war gestern, und heute ist ein neuer Tag.« Robyn hat gesagt, dass soll ich mir immer wieder vorsagen, als Affirmation.
Robyn schwört auf Affirmationen. Als ich eingezogen bin, habe ich sie als Klebezettel überall in der ganzen Wohnung entdeckt und habe immer gehört, wie sie herumlief und sie vor sich hin murmelte. Ich muss gestehen, ich habe sie für ziemlich plemplem gehalten. »Es geht darum, einen negativen Gedanken durch einen positiven zu ersetzen«, hatte sie mir erklärt. »Beispielsweise, wenn dir irgendwas Sorgen macht und du etwas daran ändern willst, dann überlegst du dir eine Affirmation.«
»Meine Visa-Rechnung macht mir Sorgen«, hatte ich ihr gesagt und mit meinem roten Mahnbescheid gewedelt. »Gibt’s dafür auch eine Affirmation?«
Worauf sie die Augen geschlossen und tief konzentriert mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken zusammengedrückt hatte, um nach kurzem Nachdenken die Augen wieder aufzuschlagen und todernst zu verkünden: »›Ich bezahle meine Rechnungen voller Liebe, denn ich weiß, dass Fülle im Überfluss mich durchströmt.‹«
Ich sage nur so viel, ich musste die Mahngebühr bezahlen und einen Haufen Verzugszinsen dazu.
Aber das war gestern, und heute ist ein neuer Tag, und obwohl ich immer noch gewisse Bedenken habe und Robyn immer noch für etwas plemplem halte, können ein paar Affirmationen meiner Meinung nach nicht schaden. Und zwar, weil ich wild entschlossen bin, ein neues Kapitel aufzuschlagen, einen neuen Anfang zu machen, Tabula rasa, egal, wie man es nennen möchte. Ich will mich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.
Wie beispielsweise Kate und Jeff. Heute Nachmittag ist sein OP-Termin, weshalb ich mir einen halben Tag frei genommen habe, um bei Kate im Krankenhaus sein zu können.
»Nein, ist nicht nötig, ehrlich«, hatte sie protestiert. »Du brauchst nicht zu kommen.«
Zum ersten Mal in meinem ganzen Leben habe ich es gewagt, mich meiner Schwester zu widersetzen. »Dein Pech – ich komme trotzdem.«
Aber zuallererst muss ich mich um die Aufarbeitung meines Treffens mit Artsy kümmern, denke ich, als ich vor der Galerie stehe und die Glastür aufdrücke. Innerlich wappne ich mich schon mal für das bevorstehende Kreuzverhör bei Magda. Mal abgesehen von dem kurzen Anruf gleich nach dem Treffen haben wir noch gar keine Gelegenheit gehabt, darüber zu reden, und so wie ich sie kenne, muss ich ihr sicher alles ganz haarklein erzählen. Und wer könnte es ihr verdenken? Denn sollte er tatsächlich bei uns ausstellen, wäre die Galerie gerettet. Und wenn nicht …?
Die Nerven in meiner Magengrube rumoren. Darüber will ich nicht mal nachdenken. Zumindest noch nicht.
Beim Betreten der Galerie erwarte ich den üblichen freudigen »Luuutzi!«-Begrüßungsschrei, dem normalerweise Magda auf dem Fuße folgt. Bloß ist das heute nicht der Fall. Unsicher schaue ich mich in der Galerie um. Alles leer. Valentino kommt aus dem Hinterzimmer geflitzt, schnüffelnd und fiepend, und springt an meinen Beinen hoch.
»Hallo, kleiner Kerl.« Magda scheint also da zu sein, bloß wo steckt sie? »Magda?«, rufe ich, gehe am Empfangstresen vorbei und steuere auf das rückwärtige Büro zu. Meine Schritte hallen auf dem Betonboden. »Sind Sie da?«
Gerade will ich ins Büro gehen, als die Tür unvermittelt aufgerissen wird, und heraus springt Magda wie Kai aus der Kiste. In dem einteiligen weißen Hosenanzug und mit ihrem
orangeroten Teint hat sie verblüffende Ähnlichkeit mit einem Oompa Loompa.
»Ach du lieber Himmel.«Verschreckt mache ich einen Satz nach hinten, verschütte meinen Kaffee und lasse Valentino fallen, der schrill aufjault. »Sie haben mich zu Tode erschreckt.«
»Tut mir leid. Ich war … ähm … ziemlich beschäftigt.« Etwas hibbelig steht sie im Türrahmen. »Ich habe Sie gar nicht hereinkommen gehört.«
»Ach, na ja, macht ja nichts«, meine ich lächelnd. »Ich hänge nur schnell meinen Mantel auf.«
Ich will rasch ins Büro
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