Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
Fuß zu mustern, wie er da bloß ein paar Schritte entfernt im Schatten stand, die Hände in den Hosentaschen und ein träges Lächeln auf den Lippen, da traf es mich so unerwartet, so unvermittelt, so unvergleichbar mit allem, was ich bisher erlebt hatte. Es war, als hättte der Blitz eingeschlagen. Ein Gefühl der Gewissheit, so machtvoll, dass ich nach hinten taumelte.
Die Italiener nennen das colpo di fulmine . Liebe auf den ersten Blick.
Das war es. Er war mein absoluter Traummann.
Was war das für ein Geräusch?
Abrupt lande ich wieder in der Gegenwart und schaue hastig von dem Buch auf. Ich höre ein leises Summen. Ein hohes Fiepen … Verwirrt lege ich den Kopf schief und lausche, wo dieses Geräusch herkommt. Von da hinten irgendwo, vom Korridor, stelle ich schließlich fest, während mein Blick über die an der Wand gestapelten Kisten mit den Gemälden wandert und zum Aufzug ganz am Ende des Gangs.
Ach, verflixt.
Der Aufzug.
Daher kommt dieses Geräusch.
Kaum ist mir das aufgegangen, als auch schon das kleine Lämpchen über dem Lift aufleuchtet.
Panik macht sich breit. Oh Mist, oh Mist, oh Mist. Das muss er sein. Der Kunde. Er ist da!
Hektisch springe ich auf, aber das Buch fällt mit einem ohrenbetäubenden Knall auf den Boden, und ich bücke mich danach und will es aufheben und versuche gleichzeitig, mir den Rock glattzuziehen und mir die Haare hinter die Ohren zu streichen. Schließlich will ich angemessen professionell und kompetent wirken und nicht, als hätte ich die letzte Stunde damit zugebracht, neugierig in der ganzen Wohnung rumzuschnüffeln.
Hastig stopfe ich das Buch zurück in den Karton, und als ich mich wieder umdrehe, sehe ich schon die Türen des Fahrstuhls aufgehen. Okay, keine Panik. Alles ist in bester Ordnung. Benimm dich einfach völlig normal. Ja, genau, ganz normal.
Aber das Problem ist, dass es einfach völlig unnormal ist, in einer wildfremden Wohnung zu stehen, während deren Eigentümer gerade im Fahrstuhl angegondelt kommt.
Zuerst fällt mein Blick auf den Portier in seiner bereits vertrauten dunkelgrünen Uniform, und dann taucht hinter ihm eine weitere Gestalt auf. Groß gewachsen steht dieser Mann einen Schritt hinter dem Portier, mit Anzug und Sonnenbrille, und während er aus dem Aufzug tritt, geht er die Post durch, die er in der Hand hat. Ich sehe zu, wie der Portier wieder in den Lift steigt, und schaue dann zurück zu dem Eigentümer des Penthouse.
»Hi«, will ich mich rasch vorstellen, krampfhaft bemüht, nicht so nervös zu klingen, wie ich bin. »Ich komme von der Galerie.«
Verdutzt nimmt er zur Kenntnis, dass da jemand in seiner Wohnung ist, schaut auf und schiebt die dunkle Sonnenbrille nach oben in die Haare. Und dabei sehe ich in seinen Augen plötzlich einen Funken Verwunderung aufblitzen. In seinen blassblauen Augen mit den grauen Sprenkeln.
Ich habe das Gefühl, als sei mir gerade ein Zehntonner in die Brust gekracht.
Lieber Gott, das kann doch nicht wahr sein.
Das kann doch nicht sein .
Das kann er doch nicht sein.
Nathaniel?
Achtes Kapitel
»Lucy?«
Ganz kurz glaube ich, gleich in Ohnmacht zu fallen. Während mein Hirn im freien Fall nach unten trudelt, versuche ich mir einzureden, dass das Ganze ein Missverständnis sein muss und ich mich schlicht und ergreifend irre. Das ist er nicht; das ist bloß eine optische Täuschung. Ich meine, es gibt doch sicher Millionen Menschen mit blauen Augen, die auch solche kleinen Sprenkel in der Iris haben, oder?
Oder?
Aber seine Stimme ist einfach unverwechselbar. Dieselbe Stimme, die ich damals im Museum gehört habe. Die Stimme, wegen der ich mich umgedreht und in die ich mich auf der Stelle verliebt habe.
»Hey, wow, Lucy, bist du das wirklich?«
Die Stimme, die mir am Telefon gesagt hat, dass es aus ist.
»Hallo, Nathaniel.«
Eigentlich soll das cool wirken, ruhig und gefasst, doch stattdessen klinge ich hölzern und oberlehrerhaft. Aber immerhin bringe ich ganze Wörter heraus. Rede laut und deutlich. Was zumindest besser ist, als ihn bloß sprachlos vor Schreck anzustarren, wonach mir eigentlich viel eher zumute ist.
Wobei, nein, das nehme ich zurück. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt was empfinde. Es kommt mir fast vor, als sei mein ganzer Körper plötzlich taub und gefühllos und ich triebe schwerelos im Wasser, wie damals, als ich die Mandeln rausoperiert bekam und der Anästhesist mir sagte, ich solle langsam von zehn rückwärtszählen.
»Du bist es wirklich! Ich hab
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