Trainspotting: Roman (German Edition)
erkennen konnte, daß er nackt war.
Überall war Blut. Auf dem Linoleum unter Kevins Stuhl war eine dunkle Pfütze. Etwas davon war über den ganzen Küchenfußboden gespritzt. Eine Sammlung von Elektrowerkzeugen, darunter ein Bosch-Bohrer und eine Black & Decker-Schleifmaschine, daneben verschiedene scharfe Messer und Schraubenzieher, lagen zu Füßen der aufrecht sitzenden Gestalt.
– Nein… nein… Kevin… um Himmels willen, nein… er hat doch nichts getan… hat doch keinem was getan… nein… jammerte Al, ein häßliches, weinerliches Geräusch ohne jede Hoffnung oder Menschlichkeit. Ich packte ihn grob an den dünnen Haaren und riß seinen Kopf vom Kissen. Mit perverser Faszination beobachtete ich, wie der knochige Schädel auf den Grund der schlabbernden Haut zu sinken schien. Ich hielt ihm das Bild unter die Nase.
– Ich dachte mir, der kleine Kev sollte genauso sein wie sein Daddy. Und als es mich dann langweilte, immer bloß deine ehemalige Freundin zu stoßen, hab ich beschlossen, ich probiers mal mit Kevs… ähm… Lieferanteneingang. Ich fand, wenn AIDS gut genug für Daddy ist, dann ist es auch gut genug für sein Blag.
– Kevin… Kevin… stöhnte er weiter.
– Leider war sein Arschloch ein wenig zu eng für mich, also mußt ich ihn ein wenig aufbohren. Leider ist es dann mit mir durchgegangen, und ich hab überall Löcher gebohrt. Er hat mich einfach so sehr an dich erinnert, Al. Ich würde ja gerne sagen, daß es ohne Schmerzen abging, aber das kann ich nicht. Dafür ging alles ziemlich schnell. Schneller, als im Bett zu verrotten. Er hat ungefähr zwanzig Minuten gebraucht, um zu sterben. Zwanzig schreiende, elende Minuten. Armer Kev. Wie du schon sagtest, Al, das ist ne Krankheit, an der Unschuldige sterben.
Tränen flossen ihm über die Wangen. Immer und immer wieder sagte er unter leisem Schluchzen »Nein«… Sein Kopf zuckte unter meinem Griff. Aus Angst, daß die Schwester auftauchen könnte, zog ich ein Kissen unter ihm hervor.
– Das letzte, was der kleine Kevin sagte, war »Daddy«. Das waren die letzten Worte deines Kindes, Al. Tut mir leid, Junge. Daddy ist weg. Das hab ich zu ihm gesagt. Daddy ist weg. Ich sah Al in die Augen, die nur noch aus Pupillen zu bestehen schienen, ein schwarzes Nichts voller Angst und totaler Niederlage.
Ich ließ seinen Kopf fallen und drückte ihm das Kissen aufs Gesicht, was die widerliche Stöhnerei dämpfte. Ich hielt es fest und drückte mit dem Kopf dagegen; halb keuchend, halb singend sprach ich die Worte eines alten Songs von Boney M: »Daddy, Daddy Cool, Daddy, Daddy Cool… you’ve been a fucking fool, bye bye, Daddy Cool…«
Ich sang fröhlich weiter, bis Venters’ schwache Gegenwehr ganz nachließ.
Ich hielt das Kissen weiter fest auf sein Gesicht gepreßt und zog ein Penthouse aus seinem Schrank. Der Saftsack wäre zu schwach gewesen, die Seiten umzublättern, geschweige denn sich einen runterzuholen. Aber sein Schwulenhaß war so groß gewesen, daß er die Zeitschrift wahrscheinlich nur deswegen offen rumliegen gelassen hatte, um damit etwas über seine Sexualität zu sagen, so was Absurdes. Da lag er nun und verrottete, und dabei dachte er nur daran, daß niemand ihn für einen Schwulen hält. Ich legte das Magazin aufs Kissen und blätterte in Ruhe, bevor ich Venters’ Puls fühlte. Nichts. Er hatte sich verabschiedet. Viel wichtiger aber war, daß er es unter elenden Qualen getan hatte.
Ich nahm das Kissen von der Leiche, zog den häßlichen, zerbrechlichen Schädel hoch und ließ ihn fallen. Für eine Weile betrachtete ich das, was ich da vor mir liegen sah. Die Augen waren geöffnet, der Mund ebenfalls. Es sah einfach blöd aus, wie eine kranke Karikatur eines Menschen. Das sind Leichen wohl auch, denke ich, Venters war es sein Leben lang.
Meine tiefe Verachtung für den Kerl machte bald einer tiefen Trauer Platz. Ich konnte nicht recht sagen, warum das so war. Ich wandte den Blick ab. Nachdem ich noch ein paar Minuten dagesessen war, stand ich auf, um der Schwester zu sagen, daß Venters das Stadion verlassen hatte.
Ich nahm mit Frances an Venters’ Beerdigung im Seafield-Krematorium teil. Für sie war das sehr aufwühlend, und ich fühlte mich verpflichtet, ihr Beistand zu leisten. Die Veranstaltung war wohl nie dazu bestimmt gewesen, irgendwelche Besucherrekorde zu brechen. Seine Mutter und seine Schwester tauchten auf, Tom und ein paar von den Leuten aus der Gruppe.
Der Geistliche fand wenig Gutes über
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