Trainspotting: Roman (German Edition)
stand oft auf, um aus dem Fenster zu sehen, während sie »in der Maske« war.
Nach einer ganzen Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, hörte ich, wie ein Wagen auf den leeren, schäbigen Parkplatz rollte. Ich sprang zum Fenster und verkündete fröhlich: – Das Taxi ist da!
Frances ließ ihr schlafendes Kind in meiner Obhut.
Die ganze Operation verlief reibungslos. Danach war mir ganz schrecklich zumute. War ich denn besser als Venters? Der kleine Kevin. Wir hatten schöne Zeiten miteinander verbracht. Ich hatte ihn zu den Vorstellungen des Meadows Festivals mitgenommen, nach Kirkcaldy zu einem Fußballspiel, das unentschieden ausging, und ins Kindermuseum. Das mag zwar nicht allzuviel sein, aber immer noch einiges mehr, als dieser alte Sack jemals für den armen kleinen Kerl getan hat. Jedenfalls hat Frances mir das gesagt.
So mies ich mir auch vorkam, war das doch nur ein Vorgeschmack auf das Grauen, das mich packte, als ich die Fotos entwickelte. Während die Bilder scharf wurden, schüttelte es mich vor Angst und Reue. Ich legte sie auf den Trockner und kochte mir einen Kaffee, mit dem ich zwei Valium hinunterspülte. Dann nahm ich die Fotos und ging ins Hospiz, um Venters zu besuchen.
Körperlich war nicht mehr viel von ihm übrig. Ich befürchtete das Schlimmste, als ich ihm in die glanzlosen Augen sah. Manche Leute mit AIDS entwickeln präsenile Demenz. Die Krankheit konnte seinen Körper gepackt haben. Wenn sie auch seinen Verstand mitgenommen hatte, dann hatte sie mich um meine Rache gebracht.
Glücklicherweise bemerkte Venters bald, daß ich da war; seine anfängliche Reaktionslosigkeit war wohl nur ein Nebeneffekt der Medikamente gewesen. Schon bald starrte er mich wieder an, und seine Augen nahmen jenen hinterhältigen, verstohlenen Blick an, den ich schon von ihm kannte. Ich konnte seine Verachtung für mich spüren, die durch sein krankes Lächeln tropfte. Er glaubte wohl, er hätte ein feiges Arschloch gefunden, das ihn bis zum Ende verwöhnen würde. Ich saß bei ihm und hielt seine Hand. Am liebsten hätte ich ihm die dürren Finger abgebrochen und ihm in alle seine Öffnungen gesteckt. Ich gab ihm die Schuld für das, was ich Kevin antun mußte, und für alles andere auch.
– Du bist n guter Kerl, Davie. Schade, daß wir uns nich unter anderen Umständen kennengelernt haben, keuchte er und wiederholte die abgenutzte Phrase, die er bei allen meinen Besuchen verwendete. Ich drückte seine Hand fester. Er sah mich verständnislos an. Gut. Der Mistkerl konnte also noch Schmerzen empfinden. Diese Schmerzen sollten ihm eher nicht weh tun, aber ein nettes Extra waren sie schon. Ich redete langsam und deutlich.
– Ich hab dir erzählt, ich hätte mich beim Fixen infiziert, Al. Tja, ich hab gelogen. Ich hab dir eine ganze Menge vorgelogen.
– Was soll das alles, Davie?
– Hör mir nur einen Augenblick zu, Al. Ich habe mich bei einer Mieze infiziert, mit der ich zusammen war. Sie wußte nicht, daß sie AIDS hatte. Sie ist von einem Stück Scheiße angesteckt worden, das sie eines Abends im Pub kennengelernt hatte. Sie war ein bißchen besoffen und ein bißchen naiv, weißt du? Das Schwein hat ihr erzählt, daß er in seiner Bude noch ein Stückchen Stoff hätte. Also ist sie mitgegangen. In seine Wohnung. Die Sau hat sie vergewaltigt. Du weißt doch, was er getan hat, Al?
– Davie… was soll das…
– Ich werds dir sagen. Er hat sie mit dem Messer bedroht. Hat sie gefesselt. Hat sie in die Möse gefickt und in den Arsch, hat sie gezwungen, ihm einen abzulutschen. Die Frau war völlig verängstigt und verletzt. Kommt dir das bekannt vor, du Arschloch?
– Ich weiß nich, was du da fürn Scheiß redest, Davie…
– Komm mir ja nicht so. Du erinnerst dich doch an Donna. Du erinnerst dich an die Southern Bar.
– Ich war fertig, Mann… aber du hast doch gesagt…
– Alles gelogen. Blödsinn. Ich hätte keinen hochgekriegt, wenn ich gewußt hätte, daß ich den Scheiß in meinem Sperma hab. Ich hätte nicht mal die Mundwinkel hochgekriegt.
– Der kleine Goagsie… weißte noch?
– Halt deine verdammte Fresse. Der kleine Goagsie hat seine Chance genutzt. Du hast dagesessen und so getan, als wär das Ganze bloß n Rollenspiel, krächzte ich und sah, wie sich meine Spuckefetzen mit dem Schweißfilm vermischten, der sein eingefallenes Gesicht bedeckte. Ich riß mich zusammen und redete weiter.
– Das Mädchen hat ne schwere Zeit durchgemacht. Aber sie hatte einen starken Willen.
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