Trainspotting: Roman (German Edition)
bedrückenden Klebstoff, der sie alle zusammenhielt.
– Das Mädchen trägt doch nie was anderes als schwarz. Zu meiner Zeit, da haben die Mädchen wenigstens hübsche bunte Sachen getragen und nicht versucht, wie Vampire auszusehen. Das hatte Onkel Bob gesagt, der fette blöde Onkel Bob. Die Verwandten hatten gelacht. Alle. Ein ödes, kleinliches Lachen. Das nervöse Lachen von verängstigten Kindern, die versuchen, es sich nicht mit der Schlägertype aus der Schule zu verderben, nicht wie von Erwachsenen, die damit zeigen wollten, sie hätten was Lustiges gehört. Zum ersten Mal wurde Nina bewußt, daß Lachen mehr bedeutete als nur Lustigsein. Es hatte was mit dem Abbau von Spannung und einem Gemeinschaftsgefühl angesichts des grimmigen Schnitters zu tun. Durch Andys Tod war dieses Thema bei jedem einzelnen von ihnen auf der Tagesordnung weiter nach oben gerutscht.
Der elektrische Wasserkessel klickte aus. Nina brühte die Kanne Tee auf und trug sie hinein.
– Is ja gut, Alice. Is ja gut, Liebe. Da kommt schon Nina mit dem Tee, sagte ihre Tante Avril. Nina fand, daß an den simplen schwarzen Tee ziemlich unrealistische Erwartungen geknüpft wurden. Oder konnte man vielleicht erwarten, daß er den Verlust einer vierundzwanzigjährigen Beziehung wettmachte?
– Schon schlimm, wenn man Herzklabaster kriegt, stellte ihr Onkel Kenny fest. – Na, jedenfalls hat er nicht leiden müssen. Besser als Krebs, wenn man da so unter Schmerzen vor die Hunde geht. Unser Vater hat’s auch am Herzen gehabt. Der Fluch der Fitzpatricks. Das war dein Großvater. Er lächelte Ninas Cousin Malcolm an. Malcolm war zwar Kennys Neffe, aber er war nur vier Jahre jünger als sein Onkel und sah älter aus als er.
– Eines Tages wird das mit dem Herzen und dem Krebs und all dem der Vergangenheit angehören, steuerte Malcolm bei.
– Ja, ja. Der medizinische Fortschritt. Und wie geht’s deiner Elsa? Kennys Stimme wurde ganz leise.
– Sie wird wieder mal operiert. Eileiter. Sie wollen wohl…
Nina wandte sich ab und verließ das Zimmer. Malcolm redete ständig nur von den Operationen, die seine Frau hinter sich hatte, damit sie Kinder kriegen konnten. Bei den Einzelheiten kribbelte es sie in den Fingerspitzen. Wie kamen die Leute eigentlich drauf, daß man so was hören wollte? Welche Frau ließ das alles über sich ergehen, nur um einen nervenden Schreihals zu kriegen? Welcher Mann bestärkte sie auch noch darin? Als sie in den Flur trat, klingelte es an der Tür. Tante Cathy und Onkel Davie. Sie waren ziemlich gut durchgekommen von Leith nach Bonnyrigg.
Cathy drückte Nina an sich. – Ach, meine Liebe. Wo ist sie? Wo ist Alice? Nina mochte ihre Tante Cathy. Sie war die offenste ihrer Tanten und behandelte sie wie einen Menschen, nicht wie ein Kind.
Cathy trat zu Alice, ihrer Schwägerin, und umarmte sie, dann ihre Schwester Irene, Ninas Mutter, und ihre Brüder Kenny und Bob. Nina fand die Reihenfolge angemessen. Davie nickte allen ernst zu.
– Mensch, da bist du ja schon mit deinem alten Transporter, Davie, sagte Bob.
– Ja. Die Umgehungsstraße macht ganz schön was aus. Kommst gleich hinter der Portobello drauf und kurz vor Bonnyrigg wieder runter, erläuterte Davie pflichtbewußt.
Wieder klingelte es. Diesmal war es Doktor Sim, der Hausarzt. Sim war hellwach und geschäftsmäßig, machte aber ein ernstes Gesicht. In seiner Haltung drückte sich ein gewisses Maß an Mitleid aus, er behielt aber seine pragmatische Stärke bei, um der Familie Vertrauen einzuflößen. Sim fand, daß er das ganz gut hinkriegte.
Das fand Nina auch. Eine Horde atemloser Tanten umschwärmten den Arzt wie Groupies einen Rockstar. Nach einer kurzen Weile begleiteten Bob, Kenny, Cathy, Davie und Irene Dr. Sim nach oben.
Als sie das Zimmer verließen, stellte Nina fest, daß ihre Periode angefangen hatte. Sie folgte ihnen die Treppe hinauf.
– Bleib weg hier! zischte Irene ihre Tochter an, als sie einen Blick zurückwarf.
– Ich muß doch bloß aufs Klo, erwiderte Nina entrüstet.
Auf der Toilette zog sie sich, mit den schwarzen Samthandschuhen beginnend, aus. Sie begutachtete den Schaden und stellte fest, daß das Blut zwar durch den Slip, aber nicht in die schwarze Leggins gesickert war.
– Scheiße, sagte sie, als ein paar Tropfen dickes, dunkles Blut auf den Badezimmerteppich tropfte. Sie riß ein paar Blatt Klopapier ab und preßte es sich zwischen die Beine, um den Blutstrom zu stoppen. Dann schaute sie im Spiegelschrank nach,
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