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Trallafitti: Kriminalroman (German Edition)

Trallafitti: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Trallafitti: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonja Ullrich
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nicht
zusammenwuchsen. Ich konnte nicht sagen, wie alt er war. Sein Gesicht war fast faltenlos
und er also wohl unter 30. Doch seine Augen schienen schon einige osteuropäische
Bürgerkriege mitangesehen zu haben.
    Er breitete
die Arme aus und grinste mich an. »Oksana!«
    Im Großraum
Deutschland gab es nur eine Person, die mich so nannte. Und diese war offensichtlich
viel zu früh dran. »Es ist noch nicht Weihnachten.«
    Ungeachtet
dessen marschierte Viktor auf mich zu, umklammerte brüderlich meine Schultern und
schüttelte mich. »Privjét. Wegen guter Führung entlassen!« Dann schmierte er einen
Kuss auf jede meiner Wangen.
    Viktor Medwedew
war ein eingedeutschter Russe mit einem außerordentlichen EDV-Talent. Im Sommer
hatten er und ich ein gut 20-minütiges Telefongespräch geführt, welches dazu diente,
mich in den Webserver eines Zeitungsverlages einzuhacken. Da Viktor zu diesem Zeitpunkt
noch für gewerbsmäßige Hehlerei in der JVA an der Krümmede einsaß, hatte ich bis
dato keine Gelegenheit herauszufinden, wie er überhaupt aussah. Daher blieb mir
nichts anderes übrig, als ihn mir anhand seiner Stimme als äußerst groß, äußerst
kräftig und ausgesprochen vernarbt vorzustellen – sowie irgendwo jenseits der 30.
Doch nichts von alledem war der Fall. Im Gegenteil.
    Viktor war
ein Milchbubi.
    Ich sah
zu Metin. »Wie kann er dein Steuerberater sein? Er war im Knast!«
    »Die JVA
ist nicht Alcatraz, Schätzchen. Solange du keine Tackerklammern oder verdrahtete
Ordner mitschickst und nicht über Al-Qaida oder Gaddafi schreibst, wird dort jede
Post zugestellt.« Er tätschelte Viktor das Schülterchen, was er wiederum zum Anlass
nahm, seinen Arm um Metins Schulter zu werfen.
    Wirklich
herzallerliebst.
    »Pass auf.
Wie wär’s, wenn du bei Esther einsteigst?«, fragte Metin und die ohnehin frohlockende
Miene des Russen erhellte sich um einige Prozentpunkte.
    Sofort griff
ich mir den Türken und zog ihn mit einem kräftigen Ruck von Viktor fort durch die
Zwischentür. »Was meinst du mit ›einsteigen‹? Er soll doch nur die Steuern machen!«
    »Nun zick
nicht so rum«, blaffte er zurück. »Viktor ist gerade frisch aus dem Knast. Er ist
vorbestraft, hat keine Bleibe und keinen Job. Zeig also mal ein wenig mehr Herz
und hilf dem Jungen, wieder auf die Beine zu kommen!« Er patschte mit den Händen
auf seine Brust. »Nimm dir ein Beispiel an mir. Ich lass ihn auch hier arbeiten.«
    Ich rümpfte
die Nase. Ich hatte keinen Zweifel, dass es vorwiegend Metin war, der sich an Viktors
Plackerei bevorteilte. Wahrscheinlich zahlte er ihm keine fünf Euro die Stunde.
Wo wir auch schon beim Thema waren. »Und wie soll ich ihn bezahlen?«
    »Ihr kriegt
das schon gebogen. Er hat bestimmt ein paar Ideen in petto.« Er zwinkerte und seine
Pausbäckchen glänzten mir entgegen.
    »Was meinst
du damit? Soll ich mit ihm schlafen, oder was?«
    »Soll ich
ihn fragen?«
    »Nein!«,
brüllte ich ihn an und unterdrückte den ersten Impuls, ihm meine Hand auf den Mund
zu drücken, damit Viktor von dieser Option keinen Wind bekam.
    Natürlich
huschte er, von meinem Geschrei angelockt, prompt durch den Türrahmen und lehnte
sich gegen die Zimmerwand. Ich glaubte nicht, dass er etwas gehört hatte, doch sein
irres Grinsen war besorgniserregend. Viktor trug eine helle schlackernde Cordhose
sowie ein mit Farbklecksen besudeltes Jeanshemd. Seine Brust war schmal, die Arme
sehnig. Ein goldenes Kettchen mit einem Christuskreuz dekorierte seinen blassen
Hals. Es sah aus, als hätte er äußerst kleine Füße. Aber vielleicht lag es auch
an dem Saum der Hosenbeine, der ziemlich weit geschnitten war und einen Großteil
seiner Schuhe verdeckte.
    Metin schob
mich aus dem Weg und ging auf Viktor zu. »Was hältst du von fünf Prozent Umsatzbeteiligung?«
    Erschrocken
folgte ich ihm und kniff ihm in die Seite, doch das schien er durch die Fettschicht
gar nicht zu spüren.
    Viktors
Augen verengten sich zu Halbmonden und er nickte eifrig. Sein Scheitel hoppelte.
»Da!« Dann taperte er auf uns zu und breitete seine Arme aus. Schon wieder. Angefangen
bei mir umarmte er uns nacheinander mit glühender Leidenschaft und küsste unsere
Wangen ab. Anschließend kehrte er in das Kämmerlein zurück.
    »Ich schwöre
dir, das zahle ich dir heim«, flüsterte ich Metin zu.
    »Immer ordentlich
den Ball flach halten. Fünf Prozent von nix sind nix. Alles paletti also.«
    »Und wenn
ich vorhabe, mehr als nix zu verdienen?«
    »Das wird
nicht passieren.

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