Transfer (German Edition)
jede
menschliche Splittergruppe war im Epsilon-Eridani-System vertreten, egal ob
Raumpiraten, religiöse Sektierer, Anarchisten, interstellare Händler,
Niederlassungen der großen Konsortien, die ganze Planeten als ihre ganz
persönliche Beute betrachteten und erbarmungslos ausbeuteten, Revolutionäre,
Auswanderer von der Erde, die hier ihr Glück suchten, oder Flüchtlinge aus
anderen Kolonien, in denen wieder einmal ein Krieg zwischen verfeindeten
Fraktionen tobte, und nicht zuletzt Angehörige genetisch modifizierter Gruppen
wie die Extremweltangepassten, die selbst unter den härtesten Umweltbedingungen
wie erhöhter Schwerkraft oder harter Strahlung existieren konnten.
Und beinahe jede dieser
untereinander zutiefst verfeindeten Gruppen glaubte, sie müßte den Rest der
Menschheit über Funk mit ihren Heilsbotschaften, Propagandasendungen oder
plumper Reklame beglücken.
Morina Jorlan, die
Funkerin, hatte angesichts dieses absurden Durcheinanders, das auf allen frei
zugänglichen Frequenzen herrschte, größte Mühe, überhaupt eine Verbindung zu
einer der Armacor-Raumwerften im Orbit von Aurora herzustellen und einen
Liegeplatz für dringende Reparaturarbeiten an der bordeigenen KI und der zentralen
Energieversorgung zu reservieren.
"Haben Sie die Werft
endlich erreicht?", fragte Raskar gerade zum wiederholten Male und mit
wachsender Ungeduld.
"Tut mir leid,
Captain, aber auf der Frequenz sendet anscheinend gerade irgendeine
Cyperfreak-Gruppe, die sich Virtuelle Unsterblichkeit nennt und dafür wirbt,
menschliche Bewußtseine einzuscannen und als autonome Simulation auf Servomaten
zu übertragen."
Die Funkerin schüttelte
grinsend den Kopf und übersah dabei den irritierten Blick des Captains.
"Und jetzt wird die
Propaganda der Cyberfreaks gerade von einem Aufruf einer Gruppe überlagert, die
sich Orthodoxe Menschheit nennt und dafür plädiert, allen Bionten und Cyborgs
die Bürgerrechte abzuerkennen. Ziemlich wirres Zeug. Es kann wohl noch etwas dauern,
bis ich die Werft erreiche."
"Haben Sie
wenigstens schon unsere Stellenausschreibung an die Hafenmeisterei weitergeben
können?"
"Die Nachricht ist
abgeschickt, aber ich kann unter diesen Umständen nicht dafür garantieren, dass
sie auch angekommen ist. Als ich auf die Bestätigung gewartet habe, ist die
Sendung der Cyberfreaks gerade auf allen Kanälen angelaufen und hat alles
andere überlagert."
Als ob sich auf Aurora
nicht ständig genug Gestrandete herumtreiben, die bereitwillig auf jedem
Seelenverkäufer anheuern würden. Der Alte wird doch bestimmt an jeder Ecke
einen Vollidioten finden, der Tanner ersetzen kann . Tara Zordins Gedanken troffen
nur so vor ätzendem Sarkasmus.
Sie erinnerte sich noch
gut an das letzte Gespräch unter vier Augen mit dem Captain, als er von ihr
wissen wollte, ob Tanner sich irgendwie merkwürdig verhalten hättte in letzter
Zeit, also während der Rest der Besatzung im Kälteschlaf lag. Raskar und
Halpron hatten anscheinend die Kabine des toten Ingenieurs untersucht und was sie
gefunden hatten, hatte Raskar wohl nicht unbedingt gefallen. Die Wände waren
vollgekrakelt mit wirren Notizen und sein Notepad enthielt ein Tagebuch, das
mehr als nur gelinde Zweifel an seinem Geisteszustand geweckt hatte. Jedenfalls
hatte Raskar ihr gegenüber Andeutungen in diese Richtung gemacht. Nur war ihr
im Verlauf des Gesprächs mehrmals der Verdacht gekommen, dass es auch um den
Geisteszustand des Captains nicht unbedingt zum besten stehen konnte. Tanners
Wahnvorstellungen schienen ihn überaus zu interessieren, sie hatte fast den
Eindruck gehabt, dass er ihnen eine tiefere Bedeutung beizumessen schien. Und
er hatte sie immer wieder mit einem fast lauernden Unterton gefragt, ob Tanner
mit ihr vielleicht über seine Alpträume gesprochen hatte.
Was für ein Blödsinn! Welcher
Psychopath breitete seine Wahnvorstellungen vor Fremden so hochnotpeinlich aus,
wie der Captain sich das vorstellte? Und selbst wenn, was hätte Raskar mit dem
Gestammel eines Idioten wie Tanner schon anfangen können?
Sie hatte dem Captain jedenfalls
mehrfach erklären müssen, dass sie Tanner in den ganzen Wochen höchstens
zweimal kurz gesehen hatte und sie beide ansonsten ihrer Wege gegangen seien.
Raskar war ihr im Verlauf des Gesprächs immer unheimlicher geworden.
Irgendetwas stimmte nicht mit dem Captain, nicht mit den Zuständen an Bord,
eigentlich mit dem ganzen verdammten Schiff und seiner Mannschaft nicht. Ganz
und gar nicht. Es
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