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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Sonne erhitzt waren, Palmenhäuser, Riesenhäuser auf breit auseinanderstehenden Stützen - die Straße zerschnitt sie, flog in den blauen Raum hinaus; ich habe nicht mehr hingeschaut. Im Hotel nahm ich ein Bad und telefonierte mit dem Reisebüro.
    Ich bestellte den Ulder für zwölf Uhr. Es war belustigend, so frei mit diesen Bezeichnungen umzugehen, wo ich doch keine Ahnung hatte, was ein Ulder überhaupt war.
    Ich hatte noch vier Stunden Zeit. Ich rief den HoteHnfor an und fragte wegen der Breggs nach. Ich selbst hatte keine Geschwister, doch der Bruder meines Vaters hinterließ zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Sollten die nicht mehr leben, dann müßten doch ihre Kinder…
    Der Infor zählte mir elf Breggs auf. Dann wollte ich etwas über die Genealogie erfahren. Es stellte sich dabei heraus, daß nur einer von ihnen, Atal Bregg, aus meiner Familie stammte. Er war der Enkel meines Onkels, nicht mehr jung übrigens, fast schon sechzig Jahre alt.
    Nun wußte ich also, was ich wissen wollte. Ich nahm sogar schon den Hörer auf, um ihn anzurufen, legte ihn aber wieder ab. Was hatte ich ihm schon zu sagen? Oder er - mir? Wie mein Vater gestorben war? Meine Mutter? Ich starb ihnen ja schon früher weg und hatte als Posthumus kein Recht zu fragen. Es wäre geradezu eine Perversität, eine Irreführung. Ich alle in konnte mich in der Zeit verstecken, die für mich weniger als für sie tödlich war. Sie haben mich doch beigesetzt, in den Sternen, nicht ich sie auf der Erde.
    Trotzdem hob ich den Hörer ab. Das Signal war lang. Endlich meldete sich der Hausroboter und sagte mir, Atal Bregg wäre außerhalb der Erde.
    »Wo?« erkundigte ich mich schnell.
    »Auf Luna. Er flog für vier Tage hin. Was soll ich ihm ausrichten?«
    »Was macht er? Was ist sein Beruf?« fragte ich. »Denn… ich weiß nicht so recht, ob es der Herr ist, den ich suche, vielleicht liegt da ein Irrtum vor…«
    Denn Roboter konnte man irgendwie leichter belügen.
    »Er ist ein Psychopäde.«
    »Danke. Werde selbst in einigen Tagen anrufen.«
    Ich legte den Hörer hin. Jedenfalls war er kein Astronaut; auch gut.
    Ich verband mich wieder mit dem Hotel-Infor und fragte, was für eine Art von Unterhaltung er mir für zirka zwei bis drei Stunden empfehlen könnte.
    »Wir laden Sie in unser Realon ein«, sagte er.
    »Was gibt es dort?«
    » >Die Braut« Den neuesten Real von Aen Aenis.«
    Ich fuhr hinunter: das gab es im Untergeschoß. Die Vorführung hatte bereits begonnen, doch der Roboter am Eingang sagte mir, ich hätte fast nichts versäumt - nur ein paar Minuten. Er führte mich ins Dunkle, holte daraus auf irgendwelche seltsame Art einen eiförmigen Sessel, setzte mich da hinein und entschwand.
    Der erste Eindruck war ähnlich wie im Theater ganz vorn - oder auch nicht: man saß auf der Bühne selbst, so nahe waren die Schauspieler. Als ob man sie - die Hand ausstreckend - anfassen könnte. Ich hätte es kaum besser treffen können: denn es war ein Stück aus meiner Zeit- also ein historisches Drama; die Zeit der Handlung war nicht genau bestimmt, aber nach einigen Einzelheiten zu urteilen, geschah das Ganze einige Jahre nach meinem Abflug.
    Anfangs ergötzte ich mich über die Kostüme: das Bühnenbild war naturalistisch, eben darum amüsierte ich mich, indem ich eine Menge von Anachronismen fand. Der Hauptdarsteller, ein sehr schöner, dunkelhaariger Mann, ging im Frack aus dem Hause -es war am frühen Morgen - und fuhr mit dem Auto, um sich mit seiner Liebsten zu treffen; er hatte sogar einen Zylinder, doch einen grauen, wie ein Engländer, der zum Derby ffihrt. Dann erschien ein romantisches Wirtshaus mit einem Wirt, den es nie im Leben gab - er sah wie ein Pirat aus -, der Held setzte sich auf die Frackschöße und trank Bier durch einen Strohhalm. Und so ging es immer weiter.
    Plötzlich hörte ich auf zu lächeln: Aen kam herein. Sie war unsinnig gekleidet, aber auf einmal war das nicht so wichtig. Der Zuschauer wußte, daß sie einen anderen liebte und jenen Jüngling betrog; die typische, melodramatische Rolle einer durchtrie -benen Frau. Sentimentales Klischee. Aen aber nahm es nicht auf. Sie war ein Mädchen, das stets hier und jetzt lebte, reflexionsfrei, fühlend, nicht nachtragend und durch die grenzenlose Naivität ihrer Grausamkeit ein schuldloses Wesen, das alle unglücklich macht, weil es überhaupt niemand unglücklich machen wollte. Indem sie in die Arme des einen kam, vergaß sie den anderen so vollständig, daß man

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