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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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gewürzten Reis. Ich fühlte, daß alle drei mich litten, und ich, ich war dankbar. Man macht ja gewöhnlich viel Aufhebens von dem Beginn einer großen Liebe. Doch eine Geborgenheit von ein paar Stunden, eine unvermutete Geborgenheit, ein Tisch, an dem man für dich auseinanderrückt, das ist es, was einen hält, das ist es, warum man doch nicht zugrunde geht.
    Ich war an diesem Abend bei Binnets ruhiger geworden. Denn wenn man lange allein lebt, beruhigt es einen bereits, wenn einem das Leben abgefragt wird. Mir wurde erst wieder bang, als ich allein war in meinen vier Wänden in der Rue de la Providence.
    Kaum, daß ich mich niederlegte, begann ein Höllenlärm im Zimmer zur rechten Hand. Ich sprang hinüber, um mir Ruhe zu verschaffen. Ein Dutzend Leute spielten Karten in zwei Gruppen. Ich sah ihren Uniformstücken an und ihren verrückten arabischen Kopfbedeckungen, daß sie Fremdenlegionäre waren. Sie waren fast alle angetrunken oder gaben sich für betrunken aus, um draufloszubrüllen. Sie hatten zwar keine Rauferei, doch war der Unterton einer Drohung in allem, was sie von sich gaben, sogar wenn sie nur ein Glas verlangten oder die Karten ausriefen, als könne man sich unter Menschen nur mit diesem Unterton durchsetzen. Ich hockte mich auf einen Koffer, obwohl mich niemand aufforderte. Ich fing zu trinken an, statt um Ruhe zu bitten. Ich war jetzt nicht mehr allein – das war alles. Und sie, trotz ihrer Spielwut und trotz ihrer Rauflust, sie stutzten nicht einmal, sondern ließen mich da auf dem Koffer, weil sie verstanden, warum ich gekommen war. Sie verstanden also trotz allem das Wichtigste. Ein kleiner Mensch, der etwas besser uniformiert war und einen reinen Burnus trug, betrachtetemich aufmerksam aus ernsten Augen. Auf seiner Brust glänzten viele Medaillen.
    Ein ziemlich scharfes Gemisch, das in diesem Zimmer getrunken wurde! Mir wurde heiß. Im Nebel glänzten die Medaillen auf der Brust des einzelnen Mannes. »Was treibt ihr hier?« – »Wir sind auf Urlaub aus dem Durchgangslager Les Milles. Wir haben das Zimmer alle zusammen gemietet für alle Urlauber. Es ist uns, verstehst du? Es ist unser Zimmer.« – »Wo fahrt ihr hin?« – »Nach Deutschland«, rief ein Zwerg, der durch einen mächtig geschlungenen Kopfputz seine Zwerghaftigkeit verminderte. »Die nächste Woche geht’s heim.« Ein Mensch, der rauchend im offenen Fenster ritt, ein Bein nach außen, den schönen frechen Kopf an den Fensterrahmen gelehnt, erzählte leichthin: »Da kam eine deutsche Kommission. Nach Sidi-bel-Abbès. Sie forderte alle Deutschen in der Fremdenlegion auf, heimzufahren. Der große Ablaß! Vergebung aller Sünden!« – »Gefällt euch Hitler?« – »Er ist uns egal«, sagte einer – so sonderbar war sein Gesicht verschandelt, daß ich mich vorbeugte, um zu erkennen, ob nur der Nebel vor meinen Augen seine Züge verqualmte, daß weder Mund noch Nase an der richtigen Stelle waren und platt und breit gezogen –, »egal wie alle. Noch mehr egal.« Der Mann im Fenster sagte über die Schulter zurück – er hatte auch das andere Bein nach außen gezogen, so daß er dem Zimmer den Rücken kehrte –: »Lieber daheim an die Wand gestellt als hier mit der Fremdenlegion bestattet.« – »Bei uns wird nicht mehr an die Wand gestellt«, sagte der Zwerg, »bei uns wird enthauptet.« Der Mann im Fenster packte sich seinen eigenen Kopf an den Ohren. »Ihr könnt Kegel damit spielen.« Der Mensch mit dem verquälten Gesicht fing zu singen an: »In der Heimat, in der Heimat –« Gar einfach und fein kam das Liedchen aus seiner Fratze heraus, aus seinem verqueren Mund. Ich hatte entweder gestern abend gar nicht geträumt, oder ich träumte auch jetzt. Der kleine Mann mit den vielen Medaillen setztesich neben mich auf den Koffer. »Ich, nein, ich fahre nicht heim, ich fahre in anderer Richtung. Mir ist es gar nicht egal. Und du?« – »Ich bleibe«, sagte ich, »du wirst schon sehen. Ich werde letzten Endes doch bleiben.« Er sagte: »Das sagst du, weil du betrunken bist. Man kann nicht bleiben.« Er stieß mit mir an in seiner ernsten ausgewogenen Art. Ich hätte ihn gern umarmt, doch hinderte mich der undurchdringliche, golden glänzende Nebel vor seiner Brust. »Warum hat man dir das umgehängt?« – »Ich war tapfer.« Ich rollte mich auf dem Koffer zusammen. Ich hatte den größten Teil meines Geldes ausgegeben, um einmal in einem Zimmer allein zu sein. Jetzt aber wollte ich hier schlafen. Der kleine Mann mit den

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