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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Windstoß wegbläst. Ich fügte hinzu: »Oder wie mir.« Er sah mich sofort ebenso angestrengt an. Dann sagte er: »Nein.« Er klapperte vor Frost. »Ach Unsinn! Sie haben sich diese Haltung nur zugelegt, damit Sie von nichts und von niemand überrascht werden.« Darauf trennten wir uns. Ich hatte dasselbe Gefühl, das ich als Knabe gehabt hatte, wenn unser Erster mich endlich gewürdigt hatte, an einem bevorzugten Spiel teilzunehmen; an dem aber, wie sich sofort herausgestellt hatte, auch nichts Besonderes dran war, und außerdem war ich wieder einmal vom düsteren Transitgeschwätz angesteckt worden.
IX
    Ich trat ganz betäubt von der eisigen Luft in das nächste Café. Es hieß Roma. Die Wärme machte mich schwindlig. Ich stand noch unsicher auf den Beinen, ich suchtemit den Augen einen Platz. Ich fühlte mit leichtem Unbehagen, daß irgend jemand mich fest ansah. Der Schwindel legte sich; ich gewahrte an einem Tisch eine Gruppe von Männern, darunter den kleinen Kanzler des mexikanischen Konsulats. Er betrachtete mich mit lachenden Augen, als ob er sich über mich lustig machte. Ich merkte, daß alle an diesem Tisch zum mexikanischen Konsulatspersonal gehörten. Sogar der Türhüter saß darunter mit seinem stolzen dunklen Gesicht. Ich sagte mir, daß es dem kleinen Kanzler an diesem eisigen Abend freistand, seinen Kaffee wo immer zu trinken. Auch traf er sicher auf seinen Wegen so viele Transitäre wie ein Pfarrer Kirchgänger. Ich ließ mich trotzdem nicht nieder, sondern tat, als ob ich weitersuchte. Da standen die Mexikaner auf und gingen hinaus. Ich setzte mich an ihren frei gewordenen Tisch, der für mich zu groß war.
    Ich setzte mich gewohnheitsmäßig mit dem Gesicht zur Tür. Ein leidlich kräftiger Mensch, den irgend etwas verwundet hat, denkt wohl nicht Tag und Nacht an seine Verwundung. Doch während er arbeitet, spricht und geht, bleibt ihm das Bewußtsein seiner Verwundung, der feine, unleugbare Schmerz. Mich hatte er keine Sekunde verlassen, ob ich nun mit dem Knaben ausging oder trank, mich auf den Konsulaten herumtrieb oder mit dem Arzt schwatzte. Ich suchte, was ich auch sonst unternahm, jeden Ort mit den Augen ab.
    Ich hatte mein Glas noch nicht angerührt, da wurde die Tür schon aufgestoßen, die Frau lief herein. Sie lief, blieb stehen, sah sich atemlos um, als sei das öde Café Roma ein Richtplatz, als sei sie abgeschickt von einer hohen Instanz, um einen Urteilsspruch aufzuhalten. Mir aber, warum sie auch kommen mochte, erschien ihr Kommen die Folge meines Wartens. Und ich, weil ich ahnte, sie kam zu spät, ich aber nicht zu spät kommen wollte, ich ließ mein Glas auf dem Tisch und stellte mich auf an der einzigen Tür. Sie ging auch gleich darauf an mir vorbei mit abgewandtem Gesicht. Ich lief ihr nach. Wir überquerten die Cannebière.Es war noch nicht so dunkel im Freien, wie es drinnen den Anschein gehabt hatte. Der Wind hatte völlig aufgehört. Sie lief in die Rue des Baigneurs. Ich hoffte, jetzt gleich zu erfahren, wo sie wohnte, wohin sie gehörte, unter welchen Umständen sie hier lebte. Sie lief aber kreuz und quer durch die vielen Gassen zwischen dem Cours Belsunce und dem Boulevard d’Athènes. Sie hatte vielleicht zuerst die Absicht gehabt, nach Hause zu gehen, doch plötzlich die Absicht aufgegeben. Wir überquerten den Cours Belsunce und dann die Rue de la République. Sie lief in das Gassengewirr hinein hinter dem Alten Hafen. Wir kamen sogar an dem Haus vorbei, in dem Binnets wohnten. Seine Tür mit dem bronzenen Klopfer erschien mir wie eines der Stücke Wirklichkeit, die sich mit Träumen vermischen. Wir liefen an dem Brunnen vorbei auf dem Marktplatz im korsischen Viertel. Sie suchte vielleicht hier eine Gasse, ein Haus. Ich hätte ihr meine Dienste anbieten können. Ich lief nur hinter ihr her, als sei ein Wort von mir genug, daß sie auf immer verschwände. Eine Tür war drapiert mit schwarzen, silberbortigen Schärpen, wie man es hierzulande tut, wenn ein Toter im Hause liegt. Auf diese Weise bekam die klägliche Gasse ein stolzes Portal für den mächtigen Gast. Mir war es wie ein Traum, ich sei selbst der Tote, und gleichzeitig griff es mir ans Herz. Sie lief die Treppe hinauf, die zum Meer führt. Sie drehte sich jäh um. Ihr Gesicht war dem meinen gegenüber. Es war unsinnig, daß sie mich nicht erkannte. Sie lief an mir vorbei. Ich sah einen Augenblick lang hinunter auf das nächtliche Meer. Es war von Kranen und Brücken fast zugedeckt. Zwischen Molen und

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