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Transit

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Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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von Roten in welcher Arena immer schreiben würde? – Die Schreibmaschinen waren mit dem Verhör verstummt. Und als die Stille selbst diesen Raum bedrohte, besann ich mich auf den Anfang der langen Begebenheit, ich besann mich auf das Paulchen. Ich sagte: »Gewiß, mein Freund, Paul Strobel, im Hilfskomitee in der Rue Aix.« Der Name wurde zu Namen gegeben, die Akten zu den Akten, das Dossier zu den Dossiers, und ich erhielt meine Konvokation auf den 8. Januar.
    Mich zog es nach solchem Verhör ins nächste Café. Doch als ich die Treppe hinunterstieg aus den Konsulatsräumen in die untere große Vorhalle, da konnte ich mich lange nicht durch das Gedränge durchzwängen. Da herrschte Bestürzung und Schreck. Ein Sanitätswagen hielt vor dem Tor, und als ich hinaustrat, packten sie einen auf ihre Bahre und schleppten ihn ab. Ich erkannte den kleinen Kapellmeister. Er war jetzt tot. Die Menschen sagten: Er ist in der Reihe zusammengebrochen. Er sollte heute sein Visum bekommen. Da hat ihn der Konsul zurückgeschickt, weil er ein Photo zu wenig hatte. Dadurch war seine Konvokation vertagt, seine Abfahrt hinfällig, was ihn stark erregte. Und wie wir ihm helfen, die Photos nachzuzählen, da hatte er sich überdies nur verzählt, zwei Photos waren zusammengeklebt, da hat er sich noch einmal in die Reihe gestellt, da ist er zusammengebrochen.
IX
    Ich hatte dem Wagen nachgesehen, der mir mein Kapellmeisterlein für immer entführte. Mein Unbehagen verging, ich war ja stark und jung. Ich trat in das Café Saint-Ferréol. Es liegt nur drei Minuten entfernt vom amerikanischen Konsulat. Ich hatte ja jetzt mein Anrecht erworben auf das Café der amerikanischen Transitäre. Ich hörte hinter mir Schritte. Mein kahler Mittransitär trat hinter mir ein. Wir setzten uns an zwei gesonderte, aber zusammengerückte Tische, wodurch wir beide andeuteten, daß wir allein trinken, doch unter Umständen ein paar Worte wechseln wollten. Ein jeder von uns bestellte seinen Cinzano. Er beugte sich plötzlich zu mir und stieß sein Glas an meines. Er sagte: »Auf sein Wohl! Wir dürften die einzigen bleiben, die seiner gedenken.« Ich sagte: »Ich traf den Mann zum erstenmal am Abend meiner Ankunft in Marseille. Sein erstes Papier war stets abgelaufen, sobald sein letztes gewährt wurde.« – »Wenn man nicht mit dem letzten anfängt. Ich suchte mir hier zuerst einen Menschen aus, der mir seinen Schiffsplatz abtrat. Erst dann begann ich die Visenjagd.«
    Ich fragte ihn, ob es denn Menschen gebe, die auf einen Schiffsplatz verzichteten. Er sagte: »Es handelte sich um eine Frau, die irgendwo neben mir wohnte. Sie freute sich auf die Reise. Da wurde sie plötzlich krank. Sie hat das Rennen aufgegeben. Sie hat mir den Schiffsplatz abgetreten.« Ich sagte: »Ach bitte, was für eine Frau? Was für eine Krankheit?« Er sah mich zum erstenmal aufmerksam an. In seinen grauen Augen war keine Güte, doch etwas, was mehr wiegt als Güte. Er erwiderte lächelnd: »Ihre Neugierde ist ungebrochen. Sie fragen einen Unbekannten nach den unbekannten Leiden einer unbekannten Frau.« Er sah mich genauer an, dann fragte er: »Sie sind vielleicht bloß ein Schriftsteller? Sie fragen nur, um zu schreiben?« Ich rief erschrocken: »Ich? Nein! Keine Spur!« Ich erschrak zum zweitenmal. Meine Antwort war unüberlegtgewesen. Jetzt war sie nicht mehr zurückzunehmen. Ich fügte hinzu: »Ich habe mir selbst auf alle Fälle ein Billett sichern lassen.« Er rief: »Auf alle Fälle! Auf alle Fälle ein Billett! Auf alle Fälle ein Visum! Auf alle Fälle ein Transit! Und wenn diese Sicherungen gegen Sie ausschlagen? Die Sicherungen vor den Gefahren mehr Kraft wegnehmen als die Gefahren selbst? Wenn Sie eingefangen werden in diesem Netz aus Voraussicht?«
    Ich erwiderte: »Ach was! Sie glauben doch nicht, daß ich diesen Unsinn überschätze. Es ist ein Spiel wie jedes andere. Es ist ein Spiel um den irdischen Aufenthalt.« Er sah mich an, als ob er sich jetzt erst im klaren sei, mit wem er es zu tun hatte. Er wandte sich ab. Er bezog jetzt deutlich seinen abgesonderten Tisch, der doch an den meinen anstieß. Sein Gesicht war streng, seine Haltung stramm. Ich überlegte umsonst, wo er hingehöre.
X
    Er vergaß, beim Weggehen zu grüßen. Das Café Saint-Ferréol füllte sich teils mit den abgefertigten Besuchern des amerikanischen Konsulats, teils mit den Visa-de-sortie-Anwärtern, die sich stärkten, bevor sie zur Präfektur hinaufgingen. Ich wäre gern auf den Quai des

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