Transit
freuen noch kränken, der gewiß schon im Leben hochmütig und schweigsam gewesen war.
Mich aber führte man höflich in jenen Raum, in dem man die letzte Hand an diejenigen Menschen legte, die man endgültig abziehen läßt.
Man setzte mich vor die junge Person, die dazu bestellt war, mein Transit auszufüllen. Mir tat es leid, daß ich nicht an die Zarte, die Hellgelockte geraten war. Doch auch mein Schutzengel war nicht übel: mit schwarzen Locken, mit brauner Haut, die sich anfühlen mußte wie Samt. Sie sah mir fest in die Augen mit Ernst und mit Härte, als gäbe es da eine Voruntersuchung zum Jüngsten Gericht. Ich staunte über ihre Fragen. Sie trug meine Antworten sorgfältig ein, alle Daten meines verbrachten Lebens, den Zweck der verbrachten Jahre. So dicht, so ausgeklügelt, so unentrinnbar war dieses Netz aus Fragen, daß dem Konsul keine Einzelheit meines Lebens hätte entgehen können, wenn es nur mein Leben gewesen wäre. So weiß, so leer war nie ein Fragebogen gewesen, auf dem sie an diesem Ort versuchten, ein schon entflohenes Leben einzufangen, von dem nicht mehr zu befürchten war, daß es in Widersprüche verwickelt wurde. Alle Einzelheiten stimmten. Was machte es aus, daß das Ganze nicht stimmte? Alle Spitzfindigkeiten waren da, um den Mann klarzustellen, dem man erlauben wollte, fortzuziehen. Nur der Mann selbst war nicht da. Sie ergriff mich dann am Handgelenk, führte mich zu demTisch, auf dem die Maschinerie stand, um die Daumenabdrücke der Transitäre festzuhalten. Sie belehrte mich geduldig, wie ich aufzudrücken hatte, nicht zu leicht, nicht zu fest, meinen rechten, meinen linken Daumen, alle meine Finger und die Ballen meiner Hände. Nur daß es gar nicht die Finger des Mannes waren, den man fortziehen lassen wollte. Wie fühlte ich durch das saftige tintenbefleckte Fleisch meiner Hände die fleischlosen Hände des anderen durch, die nicht mehr geeignet waren zu solchen Späßen! Mein Schutzengel lobte mich sehr, weil ich alles genau und sorgsam ausführte. Ich fragte sie, ob ich auch ein rotes Bändchen bekäme, sie lachte über den Scherz. Ich wurde schließlich vor den Tisch des Konsuls geführt, als ein in Ordnung befundener, vorbereiteter Transitär. Der Konsul stand aufrecht da. Etwas in seinem Gesicht und seinen Gebärden deutete an, daß der Akt, den er jetzt an mir vollzog, den er so oft vollzog wie ein Pfarrer Taufen, doch immer gleich bedeutungsvoll sei. Die Schreibmaschinen klapperten noch eine Weile, dann kamen die Federn. Als alles oft genug unterschrieben war, machte der Konsul eine leichte Verbeugung. Ich versuchte seine Verbeugung nachzuahmen.
Vor der Tür untersuchte ich mein Transit, besonders das rote, durch die rechte Ecke gezogene Bändchen. Es schien ein reines Schmuckstück zu sein, ohne weiteren Zweck. Ich erschien jetzt meinerseits auf der Treppe über den Köpfen der Wartenden, die neidisch zu mir heraufsahen.
II
Ich trat in das Café Saint-Ferréol. Mein kahlköpfiger Mittransitär saß versteckt in der hintersten Ecke. Ich dachte, er habe vielleicht bereut, mich eingeladen zu haben. Er sah nicht aus wie ein Mann, der Gesellschaft sucht. Ich setzte mich abseits in eine andere versteckte Ecke. Ich konnte von meinem Platz aus den Raum übersehen.Er hatte zwei Eingänge. Der eine schien den Präfekturgängern bestimmt, der andere den amerikanischen Konsulatsanwärtern. Das Café füllte sich langsam.
Ich ergriff eine Zeitung und schlug sie vor meinem Gesicht hoch. Marie trat ein. An demselben Ort hatten wir gesessen, sie und ich, nach meinem ersten Gang auf das Konsulat. An diesem Ort hatte sie mir von dem unauffindbaren Mann erzählt. Und ich, ich hatte den Kopf geschüttelt über die zähe Unauffindbarkeit. Jetzt sah ich selbst, wie leicht es war, sich ihr unauffindbar zu machen. Wie ungeschickt sie ihn suchte! Wie flüchtig sie alle Plätze abging! Wie leicht es mir war, sie zu täuschen, indem ich flugs hinter ihrem Rücken meinen Stuhl vertauschte mit diesem anderen zwischen zwei Vorhängen hinter dem angesprungenen Palmkübel! So war ihr die Freude schon vergangen an ihrem wiedergekehrten Freund. Ich war es, den sie brauchte. Selbst wenn sie mich nur für Ratschläge zu brauchen schien, für irgendwelches Visenspiel, mich verdroß es nicht mehr. Ich wußte, das war nur ein Vorwand, den sie sich selbst erfand, mich noch einmal wiederzusehen, noch einmal alles in Frage zu stellen. Mit diesen Blicken, mit diesen unruhigen Händen, diesem weißen
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