Transit
niemals durch Spanien fahren. Ich fragte: Warum nicht? – Das müsse ich selbst am besten wissen. – »Ich bin«, erwiderte ich, »noch niemals in Ihrem Lande gewesen.« – »Sie können ein Land auch schädigen«, sagte er, »ohne je seinen Boden betreten zu haben.« Er war sehr gemessen und stolz auf die Macht, ein Transit verweigern zu können. Er hatte ein wenig Macht geschleckt mit seiner Zunge, die ich zu sehen bekam, da sie leicht beim Sprechen anstieß. Und die Macht hatte ihm geschmeckt. Doch irgend etwas mußte ihm in meinem Gesicht stark mißfallen, vielleicht ein Ausdruck von Freude, der ihn überraschte und ihm den Geschmack verdarb. Er ist also doch nicht nur Staub, dachte ich, nicht nur Asche, nicht nur eine schwache Erinnerung an irgendeine vertrackte Geschichte, die ich kaum wieder erzählen könnte, wie jene Geschichten in der Dämmerung, die man mir in alten Zeiten erzählt hat, als ich noch nicht ganz schlief, aber auch nicht mehr ganz wach war. Es bleibt noch etwas zurück, das genug lebt, das genug gefürchtet wird, damit man die Grenzen vor ihm sperrt, damit man ihm Länder verschließt. Wahrscheinlich haben das die paar Zeilen bewirkt, die mir der amerikanische Konsul bei meinem ersten Besuch vorhielt. Ich läse sie für mein Leben gern. Vielleicht sind sie auch schon Asche. Doch unverziehen an diesem Ort, so wie sie ihm das Aufenthaltsrecht an einem anderen schenkten. Ich stellte mir einen gespenstischen Durchzug vor: in der Nacht, durch das Land, daser nie im Leben betreten hatte. Und wo er durchfährt, regen sich Schatten in den Äckern, in den Dörfern, in dem Pflaster nie gesehener Straßen. Schlecht verscharrte Tote, die sich ein wenig bei seiner Durchfahrt regen, weil er wenigstens soviel für sie tat. Nur wenig, ein paar Zeilen in einem Anfall von Eingreifenmüssen, so wie es bei mir auch nur ein Faustschlag gewesen war in das Gesicht irgendeines SA-Lümmels. In dieser Beziehung gab es sogar zwischen uns beiden eine gewisse Ähnlichkeit. Ein jähes Eingreifen-Müssen in einem Nur-eben-dahin-Leben – Der spanische Konsulatsbeamte starrte mich an mit seinen zu stark gewölbten Augen. Ich bedankte mich freudig, als ob er mir mein Transit gezeichnet hätte.
IV
Ich setzte mich in den Mont Vertoux, um alles zu erwägen. Ich hatte noch nichts gegessen und auch kein Geld mehr, um etwas zu kaufen. Ich trank ein wenig. Uns dreien war also der Weg durch Spanien verwehrt, dem Toten, mir und dem Arzt. Ein anderes Schifflein war uns bestimmt, vermutlich der klapprige Kasten, den jeden Monat die Transports Maritimes nach Martinique schickte. Der Arzt hatte ihn ja schon einmal durch das Tor des Hangars liegen sehen. Was hatte er mir bereits vor seiner ersten, mißglückten Abreise mitgeteilt? Marie sei jetzt zum Fahren entschlossen. Er glaubte wahrscheinlich, er habe damit das Spiel gewonnen, doch war Marie denn nicht auch damals zur Fahrt entschlossen, als er sein Auto über die Loire jagte auf halb zersprengten Brückenbögen? Ich aber, mit dem er nicht rechnen konnte, weil es mich damals gar nicht gab, ich hatte sie gleichwohl eingeholt, aus dem Nichts gesprungen, zur Stelle.
Der Mont Vertoux begann sich mit Gestalten zu füllen. Ein schönes helles flockiges Nachmittagslicht fiel mir aufdie Hände. In meinem Kopf fing ich an, die irdische Hinterlassenschaft meines Toten zu ordnen. Wir hatten da unseren gemeinsamen Schatz in Portugal. Der Korse mußte ihn heben helfen. Wir brauchten das Reisegeld, außerdem die Kaution, die sie forderten, auf daß wir nicht klebenblieben – wie nannten sie es? – in der östlichen Hemisphäre. Ein lichtes, erhabenes Wort, das besser dem Toten anstand als mir mit meinen festen Fingern und breiten Nägeln, die mich immer ärgerten. Ich rief den Kellner und bat ihn um einen Atlas. Er brachte mir so ein schmieriges, abgegriffenes Reisehandbuch mit einer eingehefteten Weltkarte. Ich suchte mir Martinique, wozu ich bisher zu faul gewesen. Da hing es wirklich, ein Pünktchen zwischen zwei Hemisphären, die kein Präfekturtrick waren, keine konsularische Erfindung, sondern echt, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Ich weiß nicht, wieviel ich getrunken hatte, da faßte jemand meine Schulter. Ich sah an meinem Zimmernachbar hinauf, an seiner ordenschimmernden Brust. Ich weiß nicht, warum ich ihn immer traf, wenn ich viel getrunken hatte. Der kleine, stämmige Mann steckte immer in einem ordenglitzernden Nebel. Er fragte mich, ob er sich setzen dürfe. Ich sagte, ich sei
Weitere Kostenlose Bücher