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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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hatten, die auf der geglückten Razzia stand, auf meinen Fang, um derentwillen mich diese Wirtin diesem Beamten angezeigt hatte, um ihr Kolonialgeschäft rascher zu beginnen. Der Beamte fuhr fort: »Sie haben vor dieser Dame behauptet, Sie wollten durchaus in der Stadt bleiben, Sie dächten nicht an Abfahrt.« Ich sagte: »Die Aussagen vor einer Wirtin sind nicht vereidigt. Ich darf erzählen, wozu ich Lust habe.« Er redete in verbissener Wut auf mich ein, das Departement Bouches du Rhône sei übervölkert, die Vorschrift laute, ich müsse so rasch wie möglich das Land verlassen, nur unter dieser Bedingung sei ich noch frei, ich müsse mich zu einer Vorbuchung melden, auf welchem Schiff auch immer. Ich möchte gefälligst endlich verstehen, die Städte seien für mich nicht zum Wohnen da, sondern zum Abfahren.
    Inzwischen war auch mein Zimmernachbar, der Legionär, auf der Treppe erschienen und hörte sich meine Verwarnung an. Er nahm mich dann unter den Arm und zerrte mich auf den Belsunce und erzählte mir, ich müssesofort mit ihm auf das brasilianische Konsulat, es gebe seit heute nacht ein Gerücht, ein brasilianischer Dampfer fahre hinüber, es sei schon bald kein Gerücht mehr, sondern wahrscheinlich, und wahrscheinlich morgen Gewißheit. Ich sah auch plötzlich bei seinen Worten das Phantom eines Schiffes entstehen, durch den unstillbaren Wunsch der Abfahrtsdurstigen von Geistern in Hast gebaut, in dem Dunst von Gerüchten, auf einem gespenstigen Dock. Ich fragte: »Wie heißt es denn?« Er erwiderte: »Antonia.«
VI
    Ich dachte, Marie könnte mit mir das neue, eben entstandene Schiff besteigen. Ich folgte dem Legionär auf das brasilianische Konsulat. Dort fanden wir uns in einem Haufen mir bisher unbekannt gebliebener Transitäre, der gegen die Schranke gequetscht wurde. Und hinter der Schranke weitete sich ein grüner, durch eine große Landkarte noch mehr erweiterter Raum mit zwei mächtigen Schreibtischen. Er war leer. Es kam zunächst auch niemand. Die Menschen warteten fieberhaft, ein Konsul möge sich zeigen, ein Angestellter des Konsuls, ein Kanzler, ein Schreiber, irgend jemand, der sie anhöre. Es war ihnen angedeutet worden auf einer Schiffahrtsgesellschaft, ein Schiff gehe alsbald ab nach Brasilien. Gar viele wollten so wenig hin wie ich selbst. Doch jedenfalls ging ein Schiff ab, und einmal auf einem Schiff, war man allem entronnen und reicher um alle Hoffnungen. Wir drängten uns hinter der Schranke. Der Konsulatsraum aber blieb leer. Nur aus dem entlegenen, uns verborgenen Nebenraum strömte ein leichter Kaffeegeruch bis zu uns, als hätte sich der Konsul in eine Kaffeewolke verflüchtigt. Der ungewohnte Geruch erregte uns. Wir mutmaßten einen Sack, einen Keller mit Vorräten für die unsichtbaren Angestellten. Nach einigen Stunden erschien in dem leerenRaum ein sehr gut gekleideter, sehr genau gescheitelter schmächtiger Mensch, der uns ganz verblüfft anstarrte, als sei in ein Wohnzimmer eine Rotte verzweifelter, fiebriger Menschen gedrungen, die um etwas Unverständliches flehten. Wir erhoben auch alle im Chor unsere bittenden Stimmen. Er aber zog sich entsetzt zurück. Wir warteten weitere Stunden. Er erschien endlich noch einmal. Er verschob auf einem der mächtigen Schreibtische ein paar Papiere. Dann trat er zögernd an die Schranke, als ob wir ihn hätten packen wollen und in unsere Welt herüberreißen. Nur mein Freund hatte schweigsam gewartet mit seiner teuer erworbenen Wüstenruhe. Jetzt schlug er plötzlich auf die Schranke. Der junge schmächtige Mensch sah erschrocken auf. Sein Blick wurde durch die Orden gefangengenommen, durch das Geglitzer. Er trat zögernd darauf zu. Mein Begleiter drückte ihm rasch seinen Visumantrag in die Hand. Ich wollte dem jungen Brasilianer rasch auch meinen aufdrängen. Doch winkte er erschöpft gegen alle übrigen Wartenden, die auch bereits mit ihren Visenanträgen wedelten. Er zog sich mit den Papieren meines Begleiters zurück, ich hatte den Eindruck: auf Jahre.
VII
    Ich lief an der Pizzaria vorbei, ohne hineinzusehen. Da lief jemand hinter mir her und faßte mich. Der Arzt war erregter als sonst. Vielleicht auch nur, weil er atemlos war. »So hat Marie doch recht gehabt. Ich hätte geschworen, Sie seien auf und davon. Ich habe Marie fast überredet, Sie seien so plötzlich verschwunden, wie Sie kamen, es sei zwecklos, Sie zu suchen.«
    »Nein. Ich bin hier. Den ruhigen sicheren Menschen, wie Sie einer sind, gelingt es am besten, die anderen

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