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Transit

Transit

Titel: Transit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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zu queren Dingen zu überreden.« Er stutzte und sagte: »Sie haben ja nicht einmal mehr die Binnets besucht. Und diesind doch Ihre alten, echten Freunde.« Ich dachte: Ja, Binnets sind meine alten, echten Freunde. Ich habe mich nicht mehr um sie gekümmert. Ich bin krank. Die Abfahrtskrankheit hat mich angesteckt.
    »Marie sucht Sie und sucht Sie. Ich glaube, seit Wochen. Es ist nämlich sehr wahrscheinlich geworden, daß wir mit dem nächsten Martiniquedampfer fahren. Er heißt ›Montreal‹.« – »Hat sie denn ihr Visum?« – »Noch nicht in der Hand. Doch kann es jede Stunde kommen.« – »Haben Sie denn das Reisegeld?« Ich sah zum erstenmal einen Funken Belustigung auch in seinen Augen. Ich hätte ihm in die Augen schlagen mögen. »Das Reisegeld? Ich hatte es schon in der Tasche, als wir über die Loire fuhren. Das Reisegeld für uns beide bis zum Bestimmungsort.« – »Das Transit?« – »Muß ihr der Konsul geben nach Vorweisung ihres Visums. Nur –« – »Wieder ein Nur!« Er lachte. »Kein schwerwiegendes. Nein, diesmal ist es ein kleines bescheidenes Nur. Marie möchte nicht wegfahren, bevor sie Sie noch einmal gesehen hat. Sie hält Sie, glaube ich, für den treuesten Freund, den sie je besessen hat. Ihr plötzliches Unsichtbarwerden hat Ihren Ruhm nur vergrößert. Ich halte es für das beste, Sie kommen jetzt mit mir herein und trinken Rosé, und wir warten zusammen.« – »Sie irren sich«, sagte ich, »nein. Ich kann jetzt nicht mehr mit Ihnen hineingehen. Ich kann nicht mehr mit Ihnen Rosé trinken. Ich kann nicht mehr mit Ihnen warten.« Er trat einen Schritt zurück. Er runzelte die Stirn. »Sie können nicht? Warum nicht? Marie hat sich nun einmal darauf versteift. Wir werden bestimmt diesen Monat fahren. Es ist ausgemacht. Marie will Sie vor ihrer Abfahrt noch einmal sehen. Sie können ihr diese kleine Beruhigung verschaffen.« – »Wozu? Ich kann nun einmal die Abschiedsfeiern nicht leiden, die letzten und vorletzten Wiedersehen. Sie fährt ja mit Ihnen ab, es ist ausgemacht. Sie fährt ein wenig beunruhigt, nun, man kann ihr nicht alles schenken.« Er sah mich genau an, als könne er dadurch meine Antwort besser verstehen.Ich ließ ihn gar nicht zu Rande kommen. Ich lief ihm weg und fühlte, daß er mir nachsah.
    Die Wirtin lauerte auf mich, als ich heimkam. Ihr Blick war böse. Sie lächelte böse. Mir schien es, ihr seien die Zähne seit heute nacht gewachsen und schärfer und blanker geworden. Sie drückte die große Brust auf das Fensterbrett. »Na?« Ich fragte zurück: »Was, na?« – »Wo ist Ihre Vorbuchung? Ihr Zimmer ist übrigens auf den 15. dieses Monats vermietet. Sie müssen ja auch bis dahin fort sein.« Sie hatte sich sicher all die Monate nur verstellt, in Wirklichkeit war sie keine Wirtin, nur eine verkappte, von einer geheimen Behörde gedungene Austreiberin. Ich zweifelte stärker denn je an ihrer Erscheinung, bis auf die derbe Büste im Fenster, sie endete unter dem Sims in Gott weiß was, vielleicht in einen Fischschwanz. Ich machte augenblicklich kehrt.
VIII
    Ich lief in die Rue de la République. Die Menschen drängten sich vor dem Schalter der Transports Maritimes. Das nächste Schiff sollte am 8. fahren. Die Plätze waren längst alle vorgebucht. Ich buchte vor für das übernächste. Man prägte mir ein, man könnte mir mein Billett nur ausstellen, wenn ich mein Visa de sortie brächte.
    Ich ging hinaus und stellte mich mit dem Rücken zur Rue de la République, um das Schiffsmodell im Schaufenster der Maritimes zu betrachten. Das Visa de sortie gab man nur solchen, die Reisegeld vorweisen und die Kaution. Der Korse mußte mir meinen Schatz in Portugal heben helfen. Ich mußte ihn gleich um Rat fragen. Da berührte jemand meine Hand. »Was suchst du hier?« fragte Marie. »Willst du vielleicht doch abfahren? Wir sind an deine Zauberkünste gewöhnt. Ich werde mich gar nicht wundern, wenn du auf hoher See aus einem Schornstein herauskriechst.« Ich sah hinab auf ihr braunes Haar.Sie fuhr fort: »Du wüßtest mir immer Rat und Hilfe. Ich wäre dann nie allein.« Ich griff das Wort auf: »Allein?« Sie drehte ihr Gesicht weg, als ob ich sie ertappt hätte. »Ich meine natürlich, allein mit ihm. Wo warst du die ganze Zeit? Ich habe dich überall gesucht. In dieser verfluchten Stadt findet man nie, wen man sucht, man findet alle durch Zufall. Inzwischen ist viel geschehen. Ich brauch auch wieder deinen Rat. Komm mit.« – »Ich hab keine Zeit.« Ich steckte

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