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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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genommen, ihre Haut war wieder frei vom Gestank gärender Kartoffeln, sie fühlte sich herrlich, wie erlöst, und saß nackt im Vorraum der Banja, auf ihre Kleider wartend, die ebenfalls in den Dampf gehangen worden waren.
    Da kam Awraam Iljajewitsch herein. Kam einfach in die Weiberbanja, blickte die nackte Milda an, winkte der schimpfenden und keifenden Badeverwalterin ab und ging wieder hinaus.
    Gewiß, es war nichts vorgefallen. Aber bei Milda löste dieses Geschehen eine Art von Panik aus.
    Sie lief zu ihrer Freundin ins Krankenrevier, erzählte es ihr und sagte mit fliegendem Atem:
    »Es muß etwas geschehen! Ich weiß, daß ich ihn auch erschlagen werde, wenn er mich anfaßt. Er ist ein netter Mensch, er hat freundliche Augen, vielleicht liebt er mich sogar …«
    »Er liebt dich sicherlich«, sagte die Ärztin.
    »Aber ich werde ihn erschlagen! Ich will nicht noch einmal von einem Mann genommen werden, ich will mich ihm hingeben! Verstehst du das?«
    »Gewiß. Das ist ein großer Unterschied!«
    Die Ärztin blickte aus dem Fenster. Es war ein klarer Wintertag mit einer blanken, aber sehr kalten Sonne. Der Schnee schimmerte bläulich.
    Über den großen Platz zwischen Verwaltung und Krankenbaracke spazierte Awraam Iljajewitsch. Er trug einen dicken Pelz aus Bärenfell mit einem Silberfuchskragen. Er sah darin direkt elegant aus.
    Vom Sägewerk schrillten die Sägen und Gatter … hier gab es keinen Samstag und keinen Sonntag. Rußland brauchte Holz. »Was machen wir?« fragte die Ärztin nachdenklich. »Milda, was machen wir nur mit dir?«
    »Ich weiß es nicht.« Milda faltete die Hände im Schoß, den sie so sehr behütete, und sah ihre Freundin an. »Ich bin hier, damit du es mir sagst.«
    Das ganze Problem war einfach zu lösen, die Schwierigkeiten fingen erst an, wenn man das Lager verlassen hatte. Denn das war der einzige Weg, um Awraams Liebe zu entgehen: die Flucht!
    »Sie warten auf mich, haben sie mir zum Abschied gesagt; ich werde von ganz Kargopow versteckt werden …«
    Milda Tichonowna beobachtete Awraam, wie er unruhig im Schnee herumspazierte. Er machte sich Sorgen. Warum ist Milda in der Krankenstation? Fühlt sie sich nicht wohl? Sicherlich nahm er sich jetzt vor, später bei den Ärzten nachzufragen.
    »Und genau dort werden sie dich zuerst suchen. Nein, du mußt untertauchen, Milda; dort, wo dich keiner kennt! Vielleicht ein Jahr lang –, dann wird vieles vergessen sein.«
    »Aber überall wird es Männer geben, die mir nachjagen …«
    »Das ist dein Risiko. Vielleicht triffst du auf einen, den du liebst –, dann hast du eine neue Heimat!«
    »Vielleicht …« Sie wandte sich vom Fenster ab. »Wir müssen es abwarten.«
    Drei Tage später – Awraam hatte sich beruhigt, Milda war nicht krank – schafften drei Lastwagen Abfälle aus dem Lager zu einem Müllverbrennungsplatz.
    Unter einem Haufen alter zerrissener Kleider, die man nicht mehr flicken konnte, lag Milda, umgeben von Gestank und Unrat, und ließ sich aus dem Lager fahren.
    Die Posten kontrollierten nur die Fahrpapiere, blickten auf die schmutzige Ladung und winkten. Passieren!
    Es war Abend, der Abschlußappell war vorüber, die Zählung der Gefangenen, die Meldung der Barackenältesten.
    Alles vollzählig!
    Ein Abend wie tausend andere Abende im Sägewerklager III bei Swerdlowsk.
    Auf halbem Wege, in der Nähe einer schlafenden Siedlung, wühlte sich Milda aus dem Kleiderhaufen und sprang ab.
    Sie fiel in den Schnee, kollerte ein paar Meter auf der Straße, erhob sich dann, klopfte den Schnee von der dicken Steppkleidung und ging in die Stadt.
    Als sie die ersten Straßen erreichte und sich unter die Menschen mischte, war sie ein Mädchen wie viele in dieser Stadt. Wer kann einem ansehen, daß man aus einem Straflager kommt?
    Sie ging zu dem großen Bahnhof, las auf den Anschlagtafeln die Abfahrten der Züge und wartete dann in der hohen Halle auf das Eintreffen des Transsibirien-Expreß.
    Zuerst in die entgegengesetzte Richtung wie Kargopow –, so hatte die Ärztin gesagt. Niemand wird damit rechnen, daß du tiefer nach Sibirien flüchtest. Sie werden alle Strecken nach Kargopow absuchen … in Sibirien bist du vorläufig sicher. Du wirst sehen, es ist ein Land zum Verlieben. Niemand, der es nicht kennt, glaubt es.
    Sie mußte lange warten, aber als der Zug endlich in die Bahnhofshalle einfuhr, verließ sie der Mut.
    Sie versteckte sich auf dem Bahnsteig hinter einem Kiosk und betrachtete die langen luxuriösen Wagen.
    Sie

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