Transsibirien Express
Ärztin fort, »wir Russen sind immer schon große Theoretiker gewesen!« Es war klar, daß man sie bei solchen Ansichten in ein Lager geschickt hatte …
Die Welt ist eigentlich überall gleich, wo Männer sind und plötzlich eine hübsche Frau auftaucht. Die Natur hat es so eingerichtet, man kann gar nichts dagegen tun!
Als sich Milda bei ihrem Natschalnik meldete, um die ihr zugewiesene Stelle in der Kartoffelschälbrigade anzutreten, war es nicht anders als in der Sowchose ›Maxim Gorkij‹ in Kargopow.
Der Natschalnik bekam runde Ochsenaugen, betrachtete Milda mit schnalzender Lippe und sagte: »Ich heiße Awraam Iljajewitsch; eine Frage vorweg: Willst du zehn Jahre lang Kartoffeln schälen?«
»Ja«, antwortete Milda. Diesen Blick kannte sie!
Sie hatte keine Angst mehr. Auch Awraam hat einen dünnen Kopf, dachte sie so nüchtern wie jemand, der Eier sortiert und mit dünnen Schalen umgehen muß.
Lies meine Strafakte, Genosse! Begehe nicht den gleichen Fehler wie Kyrill Michailowitsch. Mein Leib ist kein Platz für Volksfeste … er ist mir heilig, jetzt gerade, wo ihn Kuran entweiht hat.
»Dann verstehen wir uns blendend«, sagte Awraam Iljajewitsch. »In einem Jahr werden deine Finger selbst zu Kartoffeln geworden sein und du schälst sie mit …«
»Es sind meine Finger, Awraam Iljajewitsch«, antwortete Milda ruhig. »Ich werde mich schon um sie kümmern.«
Damit war die Unterredung zunächst beendet. Milda bekam ihren Hocker, einen großen verzinkten Eimer voll Wasser, saß neben einem Haufen stinkender Kartoffeln und begann zu schälen.
Das Lager war mit eintausendzweihundertvierundsiebzig Sträflingen belegt … in zehn Jahren würden sie ein Gebirge von Kartoffeln gegessen haben. Es war gar nicht auszurechnen …
Awraam Iljajewitsch war klüger als Kuran. Er griff nicht an –, er umschlich die Festung wie ein Fuchs den Gänsestall. Ab und zu tauchte er bei den Kartoffelschälerinnen auf – was er sonst sehr selten tat –, stellte sich schweigend an die Wand und schaute zu.
Er war kein häßlicher Mensch, vielleicht vierzig Jahre alt, mit krausem, schwarzem Haar, sicherlich ein Grusinier oder einer von der Krim. Er hatte ein offenes Gesicht und beinahe lustige Augen.
Die Frauen erzählten Milda schon am ersten Tag, daß ihm seine Frau im Kindbettfieber gestorben sei, und kurz danach auch noch das Kind an einer Lungenentzündung. Er hatte nicht wieder geheiratet, es war auch nicht bekannt, daß er weibliche Strafgefangene mit ins Bett nahm, er bevorzugte keine … Er war so korrekt wie der Kommandant, den sie alle heimlich liebten.
Mit Mildas Ankunft änderte sich das alles.
Sie mußte etwas an sich haben, das die Männer verrückt werden ließ, wie Bären, die Honig riechen.
Sie selbst begriff das nicht. Sie betrachtete sich im Spiegel der Gemeinschaftswaschanlage oder in den blanken Kacheln der Banja, die sie jede Woche besuchte, um heiß zu baden. Der Kartoffelgeruch, einem billigen Schnaps ähnlich, vor allem, wenn sie schon angefault waren, hing in den Poren und war nur mit Dampf auszutreiben.
Ich habe einen schönen Körper, dachte Milda wohl dann. Wer kann das übersehen?
Aber andere Frauen haben doch auch schöne Körper, wie zum Beispiel Jelisaweta oder die kecke Anja … aber diese betrachtete Awraam Iljajewitsch nicht mit hungrigen Augen. Er übersieht sie, wie man gackernde Hühner übersieht. Warum ich? Immer ich?
Sie kleidete sich in die schlechtesten Sachen, die sie hatte, sie trug nur ihre derben Stiefel, die nichts mehr von ihren schönen rehhaften Beinen zeigten, sie hatte eine schmutzige Leinenbluse und einen viel zu weiten Rock an, den sie überdies noch mit einem Strick um die Taille zusammenhielt … wahrhaftig ein Anblick, der nicht reizte!
Aber Awraam stand herum, glotzte sie an, seufzte heimlich, grinste ihr zu, wenn sich ihre Blicke einmal trafen, und hatte mehr Zeit für die Küche als früher. – Mit ihrer neuen Freundin, der Ärztin, sprach sie nicht darüber.
Sie hatte sie ein paarmal im Krankenrevier besucht; aber Milda lehnte es ab, sich krankschreiben zu lassen.
»Du hast es gut getroffen, Milda«, sagte die Ärztin. »Die beiden anderen Frauen arbeiten im Sägewerk wie die Männer. Aber sie verstehen ihr Geschäft! Die eine kommt morgen in die Krankenstation, sie hat bereits einen Tripper. Auf die andere warte ich noch, aber sie kommt bestimmt auch noch …«
Es war an einem Samstag, und eigentlich geschah nichts.
Milda hatte ihr Schwitzbad
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