Transzendenz
du das hier vergrößern?« Ich berührte das Puppenbild von Morag; mein Finger streifte sie und verstreute winzige Pixel.
Das Bild blähte sich auf, doch mit zunehmender Vergrößerung wurde es immer unschärfer. Als das Gesicht sich ausdehnte, war es nicht mehr als eine Skizze, die Basisausgabe einer Frau. Es hätte sonst jemand sein können. Ich war furchtbar enttäuscht.
»Dies basiert auf den verfügbaren Aufzeichnungen und auf dem, was ich gesehen habe«, sagte Rosa. »Meine Augen sind gut, besser als ich es in meinem Alter verdiene. Aber die Gestalt war einfach zu weit weg, der aufgewirbelte Staub hat sie verborgen.«
»Du bist unangenehm ehrlich«, sagte ich.
»Außergewöhnliche Behauptungen erfordern eine außergewöhnlich gute Bestätigung.«
»Du bist also nicht sicher, dass es Morag war.«
»Tut mir Leid.« Das vergrößerte Bild von Morag löste sich auf. »Und es ist mir nicht gelungen, irgendetwas von dem einzufangen, was sie gesagt hat – von diesem seltsamen Hochgeschwindigkeitsmonolog, den wir gehört haben.«
Ich rieb mir das Kinn. »Das ist also alles, was wir haben. Wäre die Überwachungsdichte doch bloß höher gewesen! Pech, dass sie an einem solchen Ort aufgetaucht ist.«
»Vielleicht war das kein Zufall«, sagte Rosa. »Wenn sie – oder wer immer hinter der Erscheinung steckt – entschlossen wäre, verborgen zu bleiben – dich lieber zu quälen, als sich zu erkennen zu geben –, dann ginge sie natürlich genau auf diese Weise vor; sie würde an einem spärlich überwachten Ort erscheinen, inmitten von Staubwolken, durch die man nur hin und wieder einen kurzen Blick auf sie erhascht, während sie sich von einem entfernt.«
»Weshalb bezeichnest du sie als Erscheinung? Sie ist ein Geist – oder nicht?«
Rosa lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Nicht unbedingt. Ich fürchte, um das zu verstehen, müssen wir uns etwas eingehender mit der Pseudo-Wissenschaft des Übernatürlichen befassen, Michael…«
Menschen heften Dingen Worte an, wie knallgelbe Etiketten. Das ist unsere Art, mit dem Universum zurechtzukommen. Und selbst Phänomene, die nicht Teil unserer konsensuellen Realität sind, haben ein eigenes Vokabular angesammelt.
»Eine Erscheinung ist eben das, ein Erscheinen von irgendetwas«, sagte Rosa. »Wenn du ein noch weiter gefasstes Etikett dafür haben möchtest, was hier geschieht, kannst du von einer Geistererscheinung als einer Interaktion zwischen einem Agenten und einem Perzipienten sprechen – deine Morag-Figur ist der Agent, verstehst du, und du bist der Perzipient. Der Agent könnte irgendein externes Phänomen natürlicher oder übernatürlicher Art sein, vielleicht auch etwas aus deinem eigenen Kopf: All das sind Agenten. Die Terminologie ist wertfrei. Nun, ein echter Geist ist etwas Spezielleres: Ein Geist ist eine bestimmte Kategorie von Erscheinungen, die Manifestation eines oder einer Verstorbenen.«
»Morag ist tot.« Absurd, wie schwer es mir fiel, das auszusprechen, selbst nach all diesen Jahren.
»Ja«, sagte Rosa, »aber wir wissen nicht, ob das hier wirklich in irgendeiner Weise Morag ist. Und es gibt noch andere Arten von Erscheinungen.«
Man konnte auch Visionen von Menschen haben, die noch am Leben waren: Es gab »Todesalben« und »Krisengeister«, Manifestationen lebender Menschen, die ein Trauma durchlitten. Es gab spezielle Spukgestalten, wie zum Beispiel Poltergeister. Es gab Tiergeister. Und so weiter.
Spukerscheinungen aller Art hätten eine lange Geschichte, sagte sie. Man könne die Vorstellung von Geistern wohl bis zu der viertausend Jahre alten Gilgamesch-Geschichte zurückverfolgen. Die alten Griechen und Römer hätten einander Gespenstergeschichten erzählt, und die rationaleren unter ihnen hätten versucht, Geistererscheinungen und andere spukhafte Phänomene zu erforschen.
»Die Frühkirche akzeptierte die Vorstellung von Geistern, von Seelen, die sich vom Körper lösen konnten. Diese war mit konkurrierenden Theorien über die Natur unserer unsterblichen Seele verbunden. Am Ende ersannen die frühen Kirchenväter das Konzept des Fegefeuers, eines Ortes zwischen Himmel und Hölle, wo ruhelose Seelen wohnen konnten. Solche Vorstellungen wurden von späteren Denkern angegriffen – beispielsweise während der Reformation. Aber sie bleiben Teil des Glaubenskorpus der Kirche, wenn auch zum Teil in rationalisierten Versionen.
Und die Erscheinungen gehen offenbar mit dem technischen Fortschritt«, sagte sie mit ihrem
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