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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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Tiere umher, und es kommt zu einer globalen Krise: Hätte die Meute mit der kulturellen Kontinuität, die ihr ein Halo von Geistern bietet – und seien die Informationskanäle noch so unvollkommen – dann nicht einen deutlichen Vorteil?« Sie lächelte. Ich sah, dass ihr die Spekulationen Spaß machten.
    Aber ich verlor allmählich den Boden unter den Füßen. »Morag könnte also ein irgendwie gearteter Geist sein. Aber kein Geist aus der Vergangenheit, sondern ein Geist aus der Zukunft. Meinst du das? Aber wie wäre das möglich?«
    »Ein katholischer Denker hätte keine echten Probleme mit dieser Vorstellung. Theologen glauben nicht an die Zeitreise! Aber wir stellen uns die Ewigkeit als einen zeitlosen Moment ganz und gar außerhalb der Zeit vor, wie das konstante Licht, das durch die flimmernden Bilder unserer Zelluloidleben scheint. Ein Besucher aus der Ewigkeit, ein Engel, kann also – historisch gesehen – jederzeit eingreifen, wann es ihm beliebt, weil es alles dasselbe ist; für ihn ist alles eins, alles in einem Augenblick, wie eine Filmspule, die man in der Hand hält. Für Gott gibt es keinen Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft.«
    »Du denkst in großen Dimensionen, was?«
    Mit der rechten Hand zeigte sie zum Himmel. »Nirgends gibt es größere Dimensionen als dort oben.«
    Wir wurden von einem Glockenton gestört, dem VR-Äquivalent eines Klopfens an der Tür. Ich war beinahe erleichtert darüber, all diesen unheimlichen Dingen für kurze Zeit entfliehen zu können.
    Wie sich herausstellte, war es mein Bruder John, der sich eingeloggt hatte, um mir das Leben schwer zu machen.
     
    Johns VR wurde von seinem Büro in New York aus projiziert und war von weitaus höherer Qualität als die von Rosa. Er war bei der Arbeit und trug einen dunklen Geschäftsanzug. Mir fiel auf, wie groß und massiv er wirkte, genau wie Ruud Makaay.
    John begrüßte Rosa durchaus höflich. Er machte sogar einen Scherz. »Wenn du die gleichen VR-Protokolle hättest wie ich, könnte ich dir einen Kuss geben.« Aber sie gingen sehr vorsichtig miteinander um.
    Mir kam zu Bewusstsein, dass ich keine Ahnung hatte, welche Kontakte es zwischen den beiden gab. Immerhin war sie ebenso Johns lange verloren geglaubte Tante wie meine. Konnte es sein, dass sie sich jetzt zum ersten Mal »begegneten«? Aber ich war derart eingeschüchtert, dass ich nicht einmal zu fragen wagte.
    Man hätte die Atmosphäre mit einem Messer – egal, ob VR oder real – schneiden können. Zwei Brüder und eine Tante, misstrauisch und auf der Hut, die eine Kraftprobe veranstalteten wie rivalisierende Gangsterbosse: Was für eine kalte Familie wir waren, dachte ich, was für eine kaputte Bagage.
    »Was willst du, John?«
    Er seufzte. »Es ist ein bisschen heikel. Ich habe gesehen, dass du eingeloggt bist und mit wem du sprichst. Ich will nicht herumschnüffeln, aber ich zahle für die Gespräche. Kann ich frei von der Leber weg reden?«
    »Sofern du zum Punkt kommst, gern«, sagte Rosa scharf.
    »Die Leute machen sich Sorgen um dich, Michael.« Er machte eine Handbewegung. »Wegen all dem hier. Du weißt, was ich meine.«
    »Und da haben sie mit dir gesprochen, stimmt’s?«
    »Sei nicht sauer«, fauchte er. »Ich möchte doch nur helfen.«
    »Ich bin aber sauer, du Arschloch. Wer hat mit dir gesprochen?«
    »Shelley Magwood, wenn du’s unbedingt wissen willst. Und durch sie Ruud Makaay.«
    Ich hätte natürlich damit rechnen müssen, dass John sich mit jemandem wie Makaay zusammentun würde. Sie waren derselbe Typ.
    »Das alles lenkt dich nur ab«, sagte John. »Konzentrier dich auf deine Arbeit, Michael. Auf deine Verantwortlichkeiten. Dieses Projekt zur Stabilisierung der Hydrate, das du initiiert hast, scheint durchaus sinnvoll zu sein. Ich glaube, die Chancen stehen gut, dass es Unterstützung finden und vielleicht sogar etwas Gutes bewirken wird, wenn man es auf die richtige Weise präsentiert.«
    »Aber wenn ich mich diesem Gespensterkram widme und dabei in meinem eigenen Arsch verschwinde, schadet das diesem Prozess. Hab ich Recht?«
    »Natürlich«, sagte er gereizt. »Hier geht es um ein sehr kostspieliges technisches Projekt; es ist auch so schon schwer genug zu verkaufen, ohne Indizien dafür, dass sein Initiator nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.«
    Rosa beobachtete uns beide. »Eure Rivalität sitzt tief, nicht wahr?«
    »Du darfst nicht vergessen«, sagte ich, »dass John in unserer Kindheit ein paar Jahre älter war als ich.

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