Transzendenz
selbst, unter der ewigen Wolkendecke, hatte man riesige Kriegsmaschinen errichtet. Aber der Krieg war nie hierher gekommen; diese gewaltigen Maschinen waren nie aktiviert worden.
»Doch sie warten noch immer auf den Ruf zu den Waffen«, sagte Reath.
»Ob sie nach all dieser Zeit noch wissen, für wen sie kämpfen müssen?«, fragte Drea. »Würden sie uns als die Erben ihrer Erbauer identifizieren?«
Keiner von ihnen, weder der dünne Reath noch die gedrungenen Campocs oder die pelzige, langgliedrige Alia, wusste eine Antwort darauf. Der Saturn trieb in die Dunkelheit davon.
Der Aufbruch der Menschheit zu den Sternen lag eine halbe Million Jahre zurück. Einen großen Teil dieser Zeit über hatte sie sich im Krieg befunden – und obwohl sie am Ende eine Galaxie erobert hatte, war das Sol-System, ja sogar die Erde selbst stets die wichtigste Ressourcenquelle für diesen Krieg gewesen. Darum war das System schließlich erschöpft gewesen.
Zwischen dem Jupiter und den inneren Gesteinswelten hatte es früher einen ergiebigen Asteroidengürtel gegeben: Jetzt war er ausgelaugt, ausgeplündert und stark gelichtet. Das Eisen der innersten Welt, Sol I, genannt Merkur, hatte man so lange abgebaut, dass die kleine Welt nun durch Steinbrüche und Gruben verformt war. Die beiden Nachbarn der Erde, Sol II und IV – Venus und Mars –, waren ebenfalls verbraucht. Der Mars war sämtlicher flüchtiger Stoffe beraubt worden, die er von seiner kalten Geburt zurückbehalten hatte, und selbst die dicke Luft der Venus war in Kohlenstoffpolymere umgewandelt und entfernt worden. Jetzt sahen die beiden aufgegebenen Welten einander erstaunlich ähnlich, zwei Kugeln aus rostrotem Staub, nackt bis auf eine dünne Luftschicht und ohne Spuren von Leben außer den verlassenen Städten einer fortgegangenen Menschheit. Es war ein seltsamer Gedanke, überlegte Alia, dass all diese Welten in nur einer halben Million Jahre nach der Ankunft der Menschen eine größere Verwandlung durchgemacht hatten als jemals zuvor in den ungeheuren Zeiträumen seit ihrer Geburt.
Schließlich setzte das Schiff zum Landeanflug auf Sol III an: die Erde.
Schon von ferne sah der Planet nicht mehr ganz so aus wie zu Pooles Zeit. Der Horizont verschwamm hinter einer dicken, strukturierten Schicht aus silbrigem Nebel: In dieser Zeit war die Erde von einer Wolke des Lebens umgeben. Das Schiff durchstieß diese Gemeinschaft. Alia beobachtete verwirrt, wie durchsichtige Tiere, nichts als amorphe Körper und sich festsaugende Tentakel, am Schiff Halt suchten und Säure versprühten, um an dessen Inhalt heranzukommen. Das Schiff musste seine Hülle elektrisch aufladen, um das Gewimmel dieser vom Vakuum abgehärteten Geschöpfe abzuwehren.
Diese erstaunliche Ökologie war eine unbeabsichtigte Folge der langen Kolonisation des erdnahen Weltraums durch die Menschheit. Einst hatten sich technische Gebilde, die Zugang zum Weltraum gewährten, aus der Atmosphäre der Erde erhoben. Es hatte sogar eine Brücke zum Mond gegeben, die ein Vielfaches des Erddurchmessers überspannt hatte – aber der Mond selbst war inzwischen verschwunden. All diese mächtigen technischen Projekte waren längst verfallen, doch sie hatten lange genug Bestand gehabt, um es den zähen Lebensformen der Erde zu ermöglichen, aus der Atmosphäre hinauszuklettern und ins All zu sickern, wo ihre abgehärteten und angepassten fernen Nachfahren immer noch existierten.
Das Schiff fiel auf den Planeten zu.
Die Welt, die aus dem Dunkel heraufgewirbelt kam, war immer noch erkennbar die Erde. Alia konnte sogar die Kontinente benennen, die ihr von Pooles Karten so vertraut waren. Sie wusste, dass die Kontinente Gesteinsflöße waren, die an der Oberfläche herumschwammen, aber selbst eine halbe Million Jahre waren nur ein Augenblick im langen Nachmittag der irdischen Geologie, und die grundsätzliche Konfiguration hatte sich nicht gewandelt.
Die Umrisse der Kontinente hatten sich jedoch fast unmerklich geändert, wie sie sah. Das Land hatte sich ins Meer vorgeschoben, und wo die großen Flüsse in die Ozeane mündeten, drängten sich umfangreiche Deltas ins Wasser. Die stahlgrauen Meere waren seit Pooles Zeit zurückgewichen. Nicht nur das, es gab keine Spur von Eis, weder am Nordpol noch am Südpol; im Norden befand sich ein mit Wolken übersäter Ozean, und der südliche Kontinent, die Antarktis, war von kargem Grün und Grau. Ein erheblicher Teil des Wassers der Erde musste vollständig verloren gegangen
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