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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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Paläontologe, Theologe und katholischer Mystiker.«
    John seufzte. »Ein echtes Schweizer Taschenmesser unter lauter Spinnern.«
    Teilhard zufolge bestand das Ziel der Menschheit darin, die Erde mit einer neuen Schicht aus Geist, aus Bewusstsein zu überziehen, die er Noosphäre nannte. Mit der Zeit würde die Kohärenz der Noosphäre – der Organisation einer Art geistig-seelischer Energie – wachsen, und die »Planetisation« des Geistes würde voranschreiten, bis schließlich eine neue Ebene der Integration erreicht wäre.
    »Eine Singularität«, sagte Tom. »Die Noosphäre würde durch eine Singularität entstehen.«
    »So hat er sich nicht ausgedrückt«, widersprach Rosa. »Aber ja, so ist es gemeint. Deshalb sprach de Chardin von erdgebundenen Menschen, die Götter werden. Und dann gab es Denker, die für die Menschheit eine andere Art von Transzendenz imaginiert haben, eine Transzendenz durch die Flucht zu den Sternen.«
    Sie erzählte uns von einer russischen Denktradition, die bis zu einem weiteren Denker des neunzehnten Jahrhunderts namens Nikolaj Fedorov zurückreichte. Gestützt auf den historischen Determinismus des Marxismus, den sozialistischen Utopismus und tiefere Quellen der slawischen Theologie und des slawischen Nationalismus, hatte er einen »Kosmismus« erfunden, der eine letztendliche Einheit des Menschen mit dem Universum predigte. Die Raumfahrt war in diesem Konzept ein notwendiger evolutionärer Schritt auf dem Weg zu unserer Verschmelzung mit dem Kosmos.
    Fedorovs Überlegungen waren ins Werk Konstantin Tsiolkowskis eingegangen, des »Vaters der Astronautik«. Tsiolkowski hatte versucht, Fedorovs kosmische Theologie in Prinzipien eines Konstruktionsprogramms zu verwandeln: mit Wasserstoff-Sauerstoff-Raketenmotoren bis zur Gottheit. Diese seltsamen, tiefgründigen Ideen hatten sich tatsächlich in grundlegende Gebote für das reale Raumfahrtprogramm der Sowjets übersetzt. Für die Amerikaner war der Weltraum eine Art Pionierland, in das man vordrang, um zu forschen und zu kolonisieren; für die Russen war der Weltraum ein Reich, in das man sich begab, um geistig und als Gattung zu wachsen.
    Shelley begann, mit Rosa über einige Einzelheiten zu diskutieren.
    Diese alten Visionen, diese seltsamen Hybriden aus Theologie, Futurologie und Astronautik, aus Christus, Marx und Darwin, hatten etwas Bezwingendes, fand ich. Vielleicht waren sie Produkte ihrer Zeit, die Anstrengungen von Denkern, die in eine von religiösen Vorstellungen beherrschte Epoche hineingeboren waren, um mit dem großen empirischen Schock der Evolutionstheorie sowie mit der schrecklichen Lektion der Geologen und Astrophysiker fertig zu werden, dass das Universum riesig und nicht übermäßig alt war.
    Und vielleicht, nur vielleicht hatte Rosa Recht damit, dass wir in all diesen wirren Denkmodellen der Vergangenheit undeutlich die Muster der Zukunft erkennen konnten. Alias Transzendenz klang ganz nach einer Mischung von Teilhards Noosphäre und Tsiolkowskis Homo cosmicus, nach der ins All projizierten Menschheit, versetzt mit einem Schuss von Schellings sich entwickelnder Göttlichkeit.
    John unterbrach Rosa. »Dieser ganze verstaubte Quatsch spielt nicht die geringste Rolle«, sagte er. »Kommen wir doch mal zum Punkt. Wir reden darüber, was eine hoch entwickelte Kultur, ein hoch entwickelter übermenschlicher Geist wollen könnte. Was will diese Transzendenz von Michael?«
    Rosa sagte: »Ich glaube, hier kommt Alias zweites Schlüsselwort ins Spiel. Erlösung.«
    »Noch so eine repressive alte christliche Idee«, sagte John.
    »Eine alte Idee, gewiss«, erwiderte Rosa. »Aber repressiv? Das hängt von dem Theologen ab, an dem man sich orientiert.«
    In der christlichen Theologie hatte sich die Menschheit durch unsere Ursünde, die Sünde Adams, von Gott entfernt. »Und darum brauchen wir Erlösung«, sagte Rosa. »Deren Ziel Sühne ist, die Versöhnung, die Wiedervereinigung mit Gott. Und das, würden manche sagen, war der Zweck des Lebens Jesu Christi.«
    Von dem Augenblick an, als Christus starb, scheinen seine Jünger darüber diskutiert zu haben, wozu sein Tod genau gut sein sollte. Warum musste Christus sterben? Um die Wiedervereinigung mit Gott zu erreichen? Und falls ja, wie genau sollte das vor sich gehen?
    Die frühesten Theorien, die von den ersten Kirchenvätern stammten, waren primitiv. Vielleicht war Jesus ein Opfer – schließlich hatten die jüdischen Tempelrituale zu seiner Zeit großen Wert auf Opfer

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