Transzendenz
wenigstens vorgewarnt. Hast du heute Abend schon was vor?«
Das traf mich unvorbereitet. »Ich glaube nicht. Woran denkst du, an ein letztes Abendmahl?«
John und Shelley gesellten sich zu uns. John sagte: »Ein letztes Bier wäre vielleicht eine bessere Idee.«
Shelley legte mir den Arm um die Taille. »Glauben Sie, es macht irgendwas aus, wenn Sie mit einem Kater aufbrechen müssen, um in der fernen Zukunft Dämonen zu erschlagen?«
»Es könnte sogar hilfreich sein«, sagte ich. »Okay, die erste Runde geht auf mich. Was wollt ihr, Wasser oder Wein?«
57
Leropa und Alia gingen in den länger werdenden Schatten der titanischen Ruine der Kathedrale spazieren.
»Du hast also Michael Poole besucht.«
»Es war… seltsam. Schwierig. Ich glaube, Michael Poole wird tun, worum wir ihn bitten.«
Leropa musterte sie. »Und das freut dich?«
»Sollte es nicht?«
»Es gibt eine logische Konsequenz unserer Diskussion, die ich vor deiner Schwester nicht ansprechen wollte«, sagte Leropa.
»Logische Konsequenz«, wiederholte Alia geringschätzig. »Die Transzendenz hält sich für ein Geschöpf der Liebe. Aber ihre Sprache ist pure Logik.«
Leropa zog eine haarlose Augenbraue hoch. »Dann lass uns von Logik sprechen. Du bist nicht die Erste, die auf den letztendlichen logischen Fehler im Erlösungsprogramm hingewiesen hat.«
»Ja«, sagte Alia. »Ganz egal, was ihr tut, selbst wenn ihr die Geschichte ändert, um jedes Element des Leidens zu eliminieren, wird das Leiden weiterhin existieren…«
»In einem größeren Universum der Möglichkeiten. Ja.«
»Erlösung ist also unmöglich.«
»Nicht unbedingt«, sagte Leropa. »Deine Schwester hat es intuitiv richtig erfasst: Die Erlösung ist nicht für diejenigen gedacht, die vor langer Zeit gelitten haben; sie ist für die Transzendenz selbst gedacht. Wir hoffen – aber es ist nur eine Hoffnung –, dass sich irgendwo auf den Stufen der Erlösung genug Trost finden lässt. Selbst wenn die Erlösung logisch nicht vollständig ist, sind wir irgendwann vielleicht imstande zu sagen, nun reicht es. Dann wird es endlich möglich sein, den Blick in die Zukunft zu richten – nach außen zu schauen, nicht nach innen.«
Alia nickte. Es war eine berechtigte Hoffnung. »Aber wenn dieser Moment nie kommt? Wenn es keinen Trost zu finden gibt? Was dann?«
Leropa seufzte. »Wenn das Leiden existiert, ist vielleicht keine Erlösung möglich. Aber muss es so gewesen sein? Was, wenn die Menschen überhaupt nicht existiert hätten? Wenn die Erde leblos geblieben wäre, wie ihr verlorener Mond? Dann hätte es kein Leiden gegeben, das gesühnt werden muss, kein Übel, von dem wir erlöst werden müssten – keine Sünde, für die Buße erforderlich ist. Vielleicht wäre das ein besserer Stand der Dinge, als unauslöschliches Leiden existieren zu lassen, ohne die Möglichkeit einer Heilung.«
Alia blieb abrupt stehen. »Ist das dein Ernst?«
»Es ist die letzte Stufe der Erlösung, ihre ultimative Logik. Wir nennen sie die Reinigung. Sie besteht nicht darin, dass die Menschheit aufhören wird zu existieren«, sagte Leropa leise. »Sie wird nie existiert haben. Und es wäre ganz leicht zuwege zu bringen. Vergiss nicht, die Transzendenz kann die Toten mit einer bloßen Geste zum Leben erwecken. Diese Endlösung ist beinahe elegant. Ökonomisch.«
Ein kalter Zorn brannte in Alia. »Dahin hat euch die Logik also geführt – ihr liebt die Menschheit so sehr, dass sie eliminiert werden muss?«
»Dies ist nur eine Möglichkeit«, sagte Leropa. »Doch bei dem, was nun kommen wird, darfst du nie vergessen, dass diese dunkle Möglichkeit besteht – wenn Michael Poole versagt.« Sie hob die Hand und krümmte zerbrechliche Finger zur Faust.
Alia stellte sich vor, wie von dieser Geste Wirkungen ausgingen, die über Zeit und Raum in die ferne Zukunft und die tiefste Vergangenheit strömten. Leropa war eine kleine, gebeugte Frau in einem abgenutzten, schäbigen Gewand, die durch den Schutt einer riesigen Ruine schlurfte. Und doch hielt sie das Schicksal der gesamten Menschheit in ihrer knochigen Hand.
58
Transzendenz ist…
Ich weiß es nicht. Die Worte existieren nicht in meinem Kopf. Also, wie ist sie?
Sie ist wie ein Sprung von einer Klippe. Oder wie das plötzliche Eintauchen in ein schockierendes neues Medium, zum Beispiel eiskaltes Wasser. Oder wie der Moment, in dem dein erstes Kind geboren wird, und du hältst es in deinen Armen und weißt, dein Leben
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