Transzendenz
wollte die Transzendenz selbst sehen. Ich hob den Blick.
Ganze Schwärme weiterer Sterne scharten sich zu Mustern zusammen, die Stufe für Stufe vollkommener wurden; sie reichten empor, so weit das Auge schauen konnte. Und an der Grenze meines Blickfelds schienen die sich verschiebenden Konstellationen zu einem Nebel und dann zu einem hellen Punkt zu verschmelzen. Diese höchste Einheit war das Bewusstsein der Transzendenz selbst. Es entstand aus den Interaktionen der Gemeinschaft von Sternen-Geistern, auf der es beruhte.
Als ich mich umschaute, sah ich dieselbe punktartige Einheit in jeder Richtung. Natürlich eine unmögliche Geometrie, aber eine hübsche Metapher.
Alia stupste mich sanft an, und ich erweiterte meinen Wahrnehmungsbereich noch mehr. Durch die Sternentrauben bewegten sich dunklere, flüchtigere Formen. Manchmal ließen sich Sterne auf ihren samtenen Oberflächen nieder, und ein Umriss schimmerte auf, eine komplexe Morphologie. Doch dann stiegen die Sterne wieder empor wie aufgeschreckte Vögel, und die Form verlor sich.
»Das sind die geistigen Strukturen der Transzendenz«, sagte Alia. »Ideen. Überzeugungen. Interpretationen. Und Erinnerungen – viele, viele Erinnerungen.«
Ich sah eine Form, die sich ein wenig von den anderen unterschied – kompakt, beinahe schimmernd, wie ein Juwel mit vielen Facetten, aber pechschwarz. Sie sah wie ein Stück polierte Kohle aus. »Was ist das?«
Alia klang, als lächele sie. »Schau hin.«
Ich wusste nicht, wie. Doch noch während ich den Wunsch formte, spürte ich, wie ich auf den juwelenartigen Wissensknoten zustürzte.
Ich verspürte eine Aufwallung neuen Verstehens – einen Moment der Einsicht, wie ein Durchbruch nach jahrelangen Forschungen über ein geheimnisumwobenes Thema oder die plötzliche Erhellung, wenn sich die Lösung eines Rätsels abzeichnet. Dieser schimmernde Knoten des Verstehens enthielt die gesamte Physik. In diesem Augenblick erfreute ich mich eines tiefen Verständnisses des kosmischen Gefüges, von den winzigen Symmetrien der fundamentalen Objekte, aus denen Raum und Zeit letztendlich bestanden, bis hin zur juwelenartigen Geometrie des Universums als Ganzem – obwohl ich jetzt sah, dass diese beiden Pole der Struktur, groß und klein, in Wahrheit eins waren, als wäre die gesamte Realität auf einer abstrakteren Ebene in sich gefaltet.
Doch noch während ich in diesem freudigen Verstehen schwelgte, bemerkte ein Teil von mir Aspekte, die ein Physiker des einundzwanzigsten Jahrhunderts – ja sogar ein Ingenieur wie ich – erkannt hätte. Unser grundlegendes Modell von der Zusammensetzung des Universums war hier, die Proportionen dunkler Energie, dunkler Materie und baryonischer Materie, wie sie von unseren Weltraumteleskopen festgestellt worden waren; und ich erkannte die vertrauten Meilensteine der Evolution des Universums aus der anfänglichen Singularität durch Stadien der Expansion und der Abkühlung bis hin zu der von Materie beherrschten Ära, in der die Menschen entstanden waren. Unsere Theorien waren partiell, eine tastende Suche im Dunkeln, jede versuchsweise Erklärung wie das Licht, das von einer Facette dieses ultimativen Juwels des Verstehens gestreut wurde. Und dennoch hatten wir einiges richtig erfasst, dachte ich mit einer Aufwallung von Stolz, wir Primitiven auf unserer einen, schmutzigen, verunstalteten kleinen Welt.
Dieses Gefühl des Stolzes verflog jedoch rasch, als ich erkannte, dass diese juwelenartige Struktur des Wissens, diese »ultimative Wahrheit«, uralt war.
Das von den Physikern meiner Zeit mit ihrer begrenzten Vorstellungskraft erträumte totale Verstehen war erreicht worden, und zwar schon vor langer Zeit – und es war von noch größeren Rätseln überschattet worden.
Widerstrebend löste ich mich davon. Ich versuchte, mir so viel wie möglich zu merken, versuchte, einen Schimmer dieses höchsten Verstehens festzuhalten, aber es schmolz bereits wie eine Schneeflocke in meiner hohlen Hand. Die schönen Symmetrien, die schöne Einheit gingen verloren. Ich begann bereits zu vergessen.
Aber ich war nicht wegen der Physik hier, sondern um mich Geheimnissen des menschlichen – und übermenschlichen – Herzens zu stellen.
Alia sagte sanft: »Ich glaube, du bist bereit, Michael.«
»Bereit wozu?«
»Die Unsterblichen zu treffen.«
Furcht sammelte sich in meinem Herzen. Aber du hast es so gewollt, Poole, sagte ich mir. »Bringen wir’s hinter uns.«
»Hallo, Michael Poole. Ich
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