Transzendenz
weg…«
Shelley war dünn und immer voll bei der Sache. Sie hatte ein markantes Gesicht, hohe Wangenknochen und eine römische Nase. Ihr Haar war aschblond, aber ich vermutete, dass sie es bereits färbte, obwohl sie erst in den Dreißigern war. Ich fand immer, dass sie viel zu hart arbeitete und sich bei der energischen Verfolgung zu vieler Projekte völlig verausgabte, aber unmittelbar hinter der Tür ihres Gesichts schien immer ein Lächeln zu warten. Heutzutage war sie eher Managerin oder Unternehmerin als Ingenieurin, und ich nahm an, dass diese Machbarkeitsstudie für sie eine Art seelische Hygiene darstellte, ebenso wie für mich. Ich mochte sie ausgesprochen gern.
»Sie sollten bei Tom sein«, sagte sie. »Verfrachten Sie Ihren fetten Arsch in ein Flugzeug.«
»Das habe ich versucht. Ich habe mir einen Platz besorgt. Die Protokolle…«
»Scheiß auf die Protokolle. Hören Sie, wenn Sie Hilfe brauchen…«
»Danke. Ich muss einfach Geduld haben.«
»Tut mir Leid, das mit Tom.«
»Nicht nötig. Die Arbeit hilft mir.«
»Ach wirklich?« Dank einer aufwändigen Projektionssoftware-Interpolation sah es so aus, als schaute sie auf dieselben Diagramme wie ich. »Nun legen Sie mal eine kleine Pause ein«, sagte sie streng. »Ich will mir ansehen, was Sie gemacht haben. In Ihrem Zustand vermasseln Sie wahrscheinlich nur alles.«
»Danke für Ihre Unterstützung.«
»Ich meine es ernst«, sagte sie. Daran bestand kein Zweifel. Sie runzelte die Stirn und konzentrierte sich auf die schematischen Darstellungen, und ich lehnte mich zurück und wartete.
Einem kleinen Jungen, der einst vom Garten seines Elternhauses aus startenden Raumfähren nachgeschaut hatte, war es also zu guter Letzt gelungen, so etwas wie ein echtes Raumschiff zu konstruieren. Es war jedoch ein langer Weg gewesen.
Als Kind hatte ich in erster Linie danach gestrebt, selbst in den Weltraum zu fliegen. Doch als ich älter wurde, stellte sich rasch heraus, dass dies niemals möglich sein würde. Nicht nur, weil die einzigen zu erwartenden bemannten Raumfahrtmissionen endlose Rundreisen in der Raumstation waren, für die schon eine ganze Generation von Astronautenkandidaten Schlange stand, bevor ich zwölf Jahre alt war, sondern auch, weil ich bald feststellen musste, dass mein persönlicher Raumanzug, mein Körper, der Aufgabe, mich von der Erde wegzubringen, nicht gewachsen war.
Also schraubte ich meine Ziele ein wenig herunter. Wenn ich schon nicht selbst zu fliegen vermochte, würde ich vielleicht an der Konstruktion der nächsten Raumschiffgeneration mitwirken können. Aber auch daraus sollte zunächst nichts werden.
Am College studierte ich Mathematik und Maschinenbau. Doch als ich 2017 meinen Abschluss machte, stellte sich rasch heraus, dass es keine Jobs auf dem Gebiet der Raumschiffkonstruktion gab. Die NASA, die ESA und die anderen Raumfahrtbehörden finanzierten nur einige wenige Konstruktionsstudienprojekte. Aber selbst das war reine Spielerei; es wurde so gut wie kein Geld hineingesteckt. Es war einfach nicht die Zeit für Weltraumflüge: Wir lebten in einem Zeitalter der Entropie, in dem das Öl zur Neige ging und die Energie knapp wurde, und unsere Aufmerksamkeit wurde in zunehmendem Maße von der Notwendigkeit in Anspruch genommen, mit der Klimaerwärmung und anderen Gefahren der irdischen Zukunft fertig zu werden.
Aber ich war Ingenieur. Ich wollte an etwas arbeiten, was gebaut werden würde – und wofür ich nebenbei auch bezahlt wurde; ich hatte keineswegs vor, mein Leben in Armut zu fristen. Also schaute ich mich um, ob sich mir irgendwo eine Chance bot.
Zur damaligen Zeit wurde gerade eine neue Generation von Atomkraftwerken entwickelt. Trotz ihrer Schattenseiten war die Atomkraft wieder in Mode gekommen, da sie keine Quelle von Kohlendioxidemissionen und als Energiequelle politisch erheblich unproblematischer war als die Hetzjagd auf die noch verbliebenen Ölvorräte der Welt. Also ging ich in die Atomtechnik. Ich arbeitete acht Jahre an einem Kraftwerk, das im Jahr 2027 schließlich in Betrieb ging.
Es war ein Kraftwerk der fünften Generation, wie wir es nannten. Der Reaktor arbeitete bei fast tausend Grad, einer Temperatur, die bei frühen Reaktorgenerationen den Beginn der Kernschmelze gekennzeichnet hätte. Solche Temperaturen boten einen viel höheren Wirkungsgrad, aber um sie zu erreichen, mussten wir ein anspruchsvolles Forschungs- und Entwicklungsprogramm durchführen, etwa in Bezug auf ultraharte
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