Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
davon.

 
9
     
     
    Sobald ich aus der VR aufgetaucht war, setzte ich mich an meine Arbeit. Das hielt ich für die beste Methode, die Tage hinter mich zu bringen, die ich noch durchstehen musste, bis ich auf diesem Flugzeugsitz Platz nehmen konnte. Mit einem großen Becher Kaffee begab ich mich ins Arbeitszimmer meiner Mutter, wo es die besten Kommunikationseinrichtungen und Anzeigegeräte im Haus gab, und schloss die Tür.
    Als Erstes rief ich eine VR des aktuellen Schlussentwurfs unserer Raumsondenstudie aus Papier auf. Der klobige Zentralrumpf entfaltete sich, geschmückt mit filigranen Antennen und Instrumentenauslegern; er hing vor mir in der Luft wie ein schönes Spielzeug. Ich betrachtete die Flüssigblei-Kühltanks, den Neutronenschild und die Instrumentenbusse, den Satz winziger Sonden, die wir auf dem Weg aus dem Sonnensystem absetzen wollten, und das Higgsfeld-Kraftwerk im innersten Kern. Schon der Anblick beruhigte mich. Dies war mein Lieblingssternenschiff.
    In den Ausschreibungsdokumenten der NASA und der USAF, die es genauer spezifizierten, wurde es als »die Kuiper-Sonde« bezeichnet. Falls es jemals wirklich gebaut werden sollte, bekäme es zweifellos einen klangvolleren Namen. Genau genommen war es natürlich kein richtiges Sternenschiff. Erstens war es unbemannt, und zweitens würde es nicht zu den Sternen fliegen. Aber es war – im Fachjargon – eine »interstellare Vorläufermission«.
    Unsere Sonde sollte tausend astronomische Einheiten weit in den Raum vorstoßen – das heißt, tausendmal so weit, wie die Erde vom Zentralgestirn entfernt ist. Zum Vergleich: Pluto, der äußerste Planet, ist nur vierzig AE weit draußen, der nächste Stern im Alpha-Centauri-System jedoch über eine Viertelmillion AE. Unsere zehnjährige Tausend-AE-Mission würde jedoch ein erster Schritt sein, ein vorbereitender Ausflug aus dem gemütlichen Hafen des inneren Planetensystems. Noch nie hatte sich etwas weiter von der Erde entfernt, abgesehen von den längst aufgegebenen Voyagers und Pioneers, planetaren Sonden aus den 1970er Jahren. Doch während die Voyagers auf die Hilfe von Gravitationsschleudern angewiesen gewesen waren, würden wir unter eigenem Dampf fahren, angetrieben von kosmischer Kraft.
    Es würde ein Testflug für die Schlüsseltechnologien sein, die eines Tages vielleicht unsere Maschinen oder sogar uns selbst sehr viel weiter hinaus befördern würden. Und unterwegs gab es sogar nützliche wissenschaftliche Forschungsaufgaben zu erledigen. Wir würden Gelegenheit haben, das äußere Sonnensystem weit jenseits des Pluto zu erkunden, wo sich Eismonde, die Kuiper-Objekte, in der eisigen Dunkelheit zusammenscharen. Unsere Flugbahn würde exakte Messungen solch gewaltiger Zahlen wie jener der Gesamtmasse des Sonnensystems erbringen. Wir würden durch die Heliopause fliegen, wo sich der Sonnenwind mit dem größeren interstellaren Medium vermischt, und fremdartige kosmische Partikel und Strahlungen aus dem interstellaren Raum erforschen, die man von der Erde aus nicht wahrnehmen kann.
    Und was am wichtigsten war, wir konnten die Kuiper-Anomalie besuchen. Dieser schimmernde Tetraeder hatte seine lange, ferne Umlaufbahn um die Sonne seit seiner Entdeckung in der ersten Dekade des Jahrhunderts fortgesetzt. Jetzt war es an der Zeit, diesem seltsamen Besucher gegenüberzutreten.
    Tatsächlich war das der Grund für die Beteiligung der US Air Force. In unserem kleinen Konstruktionsteam machte sogar ein Gerücht die Runde, demzufolge die für unvorhergesehene Ereignisse und spätere Ergänzungen gedachte Nutzlast-Reserve auch einen Posten von rund fünfzig Kilogramm für eine Bombe umfasste.
    Ich versuchte mich zu konzentrieren. Es gab einen Haufen schwieriger Arbeit zu erledigen; ich war mitten in der erforderlichen Strukturanalyse des Antriebssystems der Sonde. Aber die Konzentration wollte sich nicht einstellen. Raumschiffkonstruktion als Therapie: Es funktionierte oft, aber nicht an diesem Tag.
    Ich war ungemein erleichtert, als Shelley Magwood, meine offizielle Chefin, feststellte, dass ich online war, und sich einloggte, um mit mir zu reden.
    Shelley nahm im Arbeitszimmer meiner Mutter Gestalt an. Sie saß in einem schicken Formkeramiksessel, der von ihrem Büro in Seattle projiziert wurde. Sie hatte von meinen Problemen gehört. »Ist mir schleierhaft, weshalb Sie da rumsitzen und an der verdammten Sonde arbeiten«, fauchte sie. »Die Sonde kann warten. Die Kuiper-Anomalie läuft uns nicht

Weitere Kostenlose Bücher