Transzendenz
ich glaube, wir ließen unseren Zorn aneinander aus. Wir wollten Tom nicht verletzen, aber er war nun einmal da. Sagen wir, er geriet versehentlich ins Kreuzfeuer der eigenen Truppen.
Dann wurde Morag erneut schwanger. Es geschah tatsächlich ungewollt; wir waren nicht sicher, ob wir es uns leisten konnten. Aber wir ließen uns bereitwillig darauf ein. Es würde ein neuer Anfang sein, beschlossen wir – wir und die Kinder. Während Morags Schwangerschaft voranschritt, war ich zufriedener denn je. Vielleicht lernte ich, dass es im Leben mehr gibt als Kindheitsträume, und jedwede Enttäuschung verblasste im Licht einer größeren Freude.
Und dann, und dann. Morag starb bei der Geburt; ihr Kind überlebte nicht.
Kummer ist nicht annähernd das richtige Wort für das, was ich empfand. Es war wie eine Amputation, als hätte ich eine Hälfte von mir verloren. Ich führte mein Leben mechanisch weiter, ich aß und schlief, stand auf, zog mich an und arbeitete, aber es kam mir alles sinnlos vor, wie eine Scharade. Und meine Gefühle wüteten so unkontrollierbar und unerklärlich wie das Wetter. Ich ließ meinen Zorn sogar an meinen Erinnerungen an Morag aus, als hätte sie mich durch ihren Tod irgendwie zurückgewiesen. Der ultimative Laufpass.
Oh, ich kümmerte mich um Tom, jedenfalls in materieller Hinsicht. Ich flüchtete mich nie in Alkohol, Drogen oder ein VR-Fantasieland, wie es viele von mir erwarteten, glaube ich. Ich arbeitete weiter, absolvierte mechanisch ein Seminar nach dem anderen, ein Semester nach dem anderen, eine gesichtslose Gruppe von Studenten nach der anderen, obwohl ich den Gedanken an jede originelle Arbeit aufgab. Ich funktionierte weiter. Vielleicht war es »Stoizismus«, wie mir ein KI-Therapeut versicherte. So wie ich es sehe, hielt ich nur die Fassade aufrecht.
Nach Morags Tod verlor ich ein Jahrzehnt. So sehe ich das heute. Dann stellte ich eines Tages fest, dass ich mein Leben wieder bewohnte.
Als ich mich umschaute, war ich auf einmal in den Vierzigern. Tom, der auf die zwanzig zuging, hatte sich von mir entfremdet, was mich nicht überraschte. Und wenn ich mit vierunddreißig geglaubt hatte, beruflich an einem toten Punkt zu sein, so war das damals erst recht der Fall. Es war eine deprimierende Entwicklung. Mit zwanzig wusste ich, dass ich nie Astronaut werden würde. Mit dreißig wusste ich, dass ich nie ein brillanter Ingenieur sein würde. Und mit fünfundvierzig war ich alles, was ich je sein würde – für den Rest meines Lebens.
Trotzdem brauchte ich Geld. Ich lehrte weiter an der Cornell und streckte ein paar Fühler aus, um irgendwelche Beraterjobs an Land zu ziehen.
Es war mein Glückstag, als Shelley Magwood aus heiterem Himmel Kontakt zu mir aufnahm. Sie hatte zu einer meiner ersten Studentengruppen an der Cornell gehört und erinnerte sich an mich. Im Alter von etwa dreißig Jahren hatte sie mit Aktien eines Start-ups, das sich auf Aspekte der neuen Higgsfeld-Technologie spezialisierte, bereits ein Vermögen gemacht. Sie verschaffte mir Beraterverträge auf Grundlage von Higgs und meinen umfangreichen Erfahrungen im Bereich der Atomkraft. Für eine Übergangsperiode würden die beiden Technologien zusammenwirken müssen, um Strom für das gemeinsame Netz zu liefern, und dazu mussten Schnittstellen, Protokolle, Lastbilanzen und andere technische Details entwickelt werden.
Es gab also immer Arbeit für mich, und ich erledigte sie gut genug. Shelley sagte, als Lehrer hätte ich sie inspiriert; ohne mich hätte sie ihren eigenen erfolgreichen Weg nicht gefunden, und so weiter. Ich wusste die moralische Rückenstärkung zu schätzen, und das Geld auch. Aber es war klar, dass Shelley mir nur einen Gefallen tat.
Dann zog Shelley mich in ein weiteres Abenteuer hinein.
»Ich weiß noch, dass Sie immer Anwendungen aus der Raumfahrttechnologie in Ihre Seminare eingebracht haben«, erklärte sie mir. »Es war offensichtlich, woran Ihr Herz hing. Ich glaube, es könnte Ihnen Spaß machen, daran mitzuarbeiten.«
Als die Ausschreibungsunterlagen für das Projekt eintrafen, aus dem später die Kuiper-Sonde wurde, war Shelleys Beratungsfirma klein und flexibel genug, um sich erfolgreich zu positionieren und sich den Auftrag zu schnappen, aber auch klug genug, um das Zukunftspotenzial zu erkennen. »Es ist nur eine Papierstudie«, erklärte sie mir. »Aber es könnte sein, dass sie aufgegriffen wird. Und selbst wenn nicht: Wir werden dafür bezahlt, darüber nachzudenken, wie man
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