Transzendenz
bestanden hatte, war diese Welt fast ganz aus Gestein, bis hinab zu ihrem Kern.
»Es ist eine Schmutzkugel«, kicherte Denh.
»Ein weiteres Resultat der Wechselfälle der planetaren Einschlagsverarbeitung«, sagte Reath. Er äußerte die Vermutung, Baynix II habe mehr Ähnlichkeit mit dem Erdmond als mit der Erde selbst; er sei ein Abfallprodukt einer gewaltigen Kollision, geformt aus dem Mantel einer größeren Welt.
Alia schaute nervös hinunter. All diese Welten schienen die Produkte willkürlicher, ungeheurer Gewaltakte zu sein. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein musste, auf solch übel zugerichteten Bruchstücken zu leben.
Sie zwängten sich in eine kleine Fähre, und Alia stieg in die Lufthülle eines weiteren Planeten hinab.
Hier gab es Ozeane, die ihre Entstehung wie üblich Kometen verdankten, und eine Atmosphärenschicht, die größtenteils aus Kohlendioxid bestand. Aber das Land war uralt, übersät von den erodierten Schatten Milliarden Jahre alter Landschaftsmerkmale, Palimpsesten von Kratern und Gebirgsketten. Das von der Strahlung gebeutelte einheimische Leben – robuste kleine, strahlungsresistente Mikroorganismen – war nie über das Einzellerstadium hinausgelangt. Die Umstände ihrer schwierigen Geburt hatten die Schmutzkugel ungastlich gemacht: Wegen des geschrumpften Kerns gab es keine signifikante tektonische Erneuerung und kein globales Magnetfeld.
Und so weit Alia sehen konnte, hatten die Menschen hier so gut wie keine Spuren hinterlassen. Es gab weder Städte noch Bauernhöfe. Ein paar vollautomatische Überwachungsstationen, selbst unvorstellbar alt, standen stumm da, erodiert und halb von Treibsand bedeckt. Das war alles.
»Also, weshalb sind wir hier?«, fragte Alia.
Reath grinste und ging mit der Fähre fast bis zum Boden hinunter. »Ihret wegen«, sagte er und zeigte hin.
Alia dachte, die Formationen auf dem Boden wären rein geologischer Natur. Es waren niedrige, unebene und unregelmäßige Grate von derselben Farbe wie der sandige Boden, aus dem sie sich erhoben. Reath gab ihr keine weiteren Hinweise. Irritiert von dem Geheimnis und dem Gefühl, dass alle anderen mehr wussten als sie, weigerte sich Alia, weitere Fragen zu stellen.
Der Flitzer landete. Die Schwerkraft lag ein wenig unter dem Standardwert, was nicht unangenehm war. Sie stiegen aus und warteten auf die Behandlung durch den lokalen Dunst. Alia spürte, wie Filter in ihrer Nase und ihrem Hals sich gegen den ätzenden Staub verschlossen, der in der Luft hing, und Sauerstoff zischte kühl in ihre Lungen.
Sie ging zu den Gesteinsformationen. Vom Boden aus sahen sie wie niedrige, erodierte Kämme aus, die sich aus dem flachen Erdreich erhoben. Es mochten vielleicht fünfzig solcher Hügel sein; sie verliefen parallel zueinander, und ihre abgetragenen Kuppen ragten rund vierzig Meter in die Luft.
Erst als sie die vorderste erklimmen wollte, erkannte sie, worum es sich handelte. Auf einmal wurde ihr alles klar – dieser schmale Grat, der in den Boden führte, diese tiefen Krater, die glatte Wölbung darüber – die abgenutzte Morphologie war keineswegs willkürlich.
»Lethe«, entfuhr es ihr. »Das ist ein Gesicht. Ein menschliches Gesicht.«
Die »Hügel« ähnelten umgefallenen Statuen menschlicher Gestalten von jeweils zwei- bis dreihundert Metern Größe. Riesige Arme, Beine und Rümpfe erhoben sich aus dem Erdreich. An einer besonders gut ausgeformten Hand waren deutlich vier Finger und ein Daumen zu erkennen. Der Treibsand hatte die Figuren halb begraben – oder vielleicht hatten die Bildhauer sie aus ihren eigenen unergründlichen Beweggründen heraus absichtlich so zurückgelassen. Das riesige Gesicht vor ihr grub sich ins Erdreich, sodass nur noch ein Auge, ein Nasenflügel und die Hälfte eines offenen Mundes freilagen. Von den halb geöffneten Lippen ergoss sich ein Sandhaufen von anderer Farbe, einem intensiveren Blaurot, als wäre er aus diesem steinernen Mund erbrochen worden. Sie hätte in die riesige Höhle des frei liegenden Auges klettern können. Aber eine seltsame Aura der Wachsamkeit umgab diese leere Höhle, dachte sie beklommen.
»Erstaunlich«, sagte sie.
Bale nickte. »Ich weiß.«
»Aber wozu ist es gut?«
Bale lächelte nur.
Reath schien sich weniger für die Statuen zu interessieren als für den Sand, in dem sie lagen. Er hockte sich hin, hob eine Hand voll auf und ließ sie durch seine Finger rieseln. »Dies war früher einmal das Bett eines Sees. Oder vielleicht
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