Transzendenz
eines Meeres. Diese Körnchen sind eindeutig vom Wasser geformt – siehst du, wie rund sie sind? Aber das Meer ist sicher schon vor Jahrmilliarden verschwunden.«
Alia stellte sich vor ihm auf. »Was haben diese Monumente mit mir zu tun?«
»Monumente?« Er erhob sich ein wenig steif, sammelte noch einmal Meeresbodensand in der Hand und rieb die runden Körnchen sanft. »Fast alle diese Körnchen bestehen aus Silikaten. Silizium kommt in der Erdkruste zehnmal so häufig vor wie Kohlenstoff, weißt du – und hier auf dieser Sandkugel vermutlich noch um etliches häufiger. Hast du dich schon einmal gefragt, weshalb dann der seltenere Kohlenstoff und nicht das häufigere Silizium als Grundlage des irdischen Lebens in Erscheinung getreten ist?«
»Das weiß doch jeder«, fauchte Alia. »Weil Kohlenstoff Mehrfachverbindungen eingehen kann. Kohlenstoff kann Moleküle bilden, die komplex genug sind, um einen genetischen Code zu speichern.«
»Schon richtig, schon richtig. Aber auch aus Silizium kann man komplexe Strukturen herstellen, zumindest in seiner kristallinen Form…«
»Na und?« Alia schlug ihm gegen die Hand, und die Sandkörner flogen davon. »Mir reicht’s jetzt, Reath. Was wollen wir in diesem Skulpturenpark?«
Reath schien irgendwie nicht recht weiterzuwissen. Er schaute auf seine Füße hinab, als wären die Körner, die sie verstreut hatte, die einzigen auf dem Planeten. »Es waren die Campocs, die dich hierher gebracht haben«, rief er ihr ins Gedächtnis.
Alia wurde von einem Lichtfunken abgelenkt, der übers Himmelsgewölbe schoss. Sie sah sofort, dass es ein Schiff war. Mit eleganten Flugbewegungen sank es zu ihrer Sandebene herab, und als es sich näherte, erkannte sie seine komplexen, fragilen, schönen Details.
Es war zweifellos eine Fähre von der Nord. Unmittelbar nach der Landung klappte eine Luke auf, und eine Frau stieg unsicher aus. Es war Drea. Alia rannte los.
Drea stolperte ein wenig in der ungewohnten Schwerkraft und hustete, als der Dunst sein Werk tat. Aber dann rannte sie ebenfalls los, lief mit schweren Schritten über den Sand auf Alia zu. In einem Gewirr von Gliedmaßen prallten die beiden lachend aufeinander.
Alia war über alle Maßen froh, ihre Schwester zu sehen. »Danke, dass du von so weit her gekommen bist«, sagte sie.
»Ich bin nicht sicher, ob ich eine Wahl hatte.« Drea lächelte. »Wenn Reath ruft, hat das einiges Gewicht. Und überhaupt, ich habe dich vermisst.«
»Ich dich auch. Du ahnst nicht, wie sehr.«
Eine staubige Brise zauste Dreas Körperfell. »Ich muss es dir sagen – auf der Nord veranstalten sie eine Konstellationsbenennungszeremonie.«
Das geschah so etwa jedes Jahrzehnt, wenn die Sterne, die sich aufgrund der Unterlicht-Schleichfahrt der Nord an deren Himmel verschoben, neue Konfigurationen einnahmen. Die Namen der neuen Muster wurden im Rahmen eines großen, freundschaftlichen Wettbewerbs durch öffentliche Abstimmung ermittelt.
Alia zuckte zusammen. »Ich wünschte, ich könnte dort sein.«
»Sie werden eine Konstellation nach dir benennen, Alia! Sie soll ›Die Skim-Tänzerinnen‹ heißen. Alle haben dafür gestimmt.«
Alia ergriff die Hände ihrer Schwester. »Dann bist du ebenfalls gemeint!«
»Aber du bist diejenige, auf die sie stolz sind, Alia. Alle. Obwohl niemand so recht weiß, was du hier draußen treibst.« Sie schaute sich um. »Kein sonderlich einladender Ort, was?«
»Meistens finde ich unangenehme Sachen über mich selbst heraus«, warf Alia ein. »Verzeih mir bitte.«
Drea machte ein verwirrtes Gesicht. »Was denn?«
Alia lächelte. »Dass ich dich am Fell gezogen habe, als ich drei war…«
»Und ich bitte ebenfalls um Verzeihung.« Es war Bale; er war ein paar Meter von den Schwestern entfernt stehen geblieben.
Alia stellte ihn und die anderen Campocs rasch vor. Aber die Campocs nahmen keinerlei Notiz von Drea, die plötzlich verloren und in sich selbst zurückgezogen wirkte. Alias Unbehagen verstärkte sich rasch. Sie warf Reath einen Blick zu. Er schien sich jetzt sehr unwohl zu fühlen, aber er starrte auf den uralten Sand zu seinen Füßen.
Sie wandte sich wieder den Campocs zu. »Was geht hier vor, Bale? Warum ist Drea hier? Und wofür bittest du um Verzeihung?«
Sein Lächeln war dünn. »Für das, was wir tun müssen.«
»Wovon redest du?«
Drea taumelte.
Alia packte ihre Schwester an der Schulter, damit sie nicht hinfiel. Auf einmal war es, als stütze sie eine Puppe; Dreas Gliedmaßen
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