Transzendenz
Haar glänzte von Gel. Ihre Energie, ihre Lebensfreude und die Begeisterung für ihre Arbeit munterten mich immer wieder auf. Aber sie hatte keine meiner Fragen beantwortet.
»Shelley – was zum Teufel machen Sie hier? Nicht, dass ich Sie nicht gern sähe. Aber weshalb sind Sie hier?«
»Was Sie mir über die Gashydrate erzählt haben, hat mich nachdenklich gemacht. Das klingt doch, als säßen wir alle auf einer Zeitbombe, oder? Ich wüsste gern, was Gea, die große Computer-Suite, dazu zu sagen hat. Ich bin neugierig.« Sie grinste und wischte sich den Mund ab; von ihrem Steak waren nur noch ein paar Knorpelstücke übrig geblieben. »Apropos Gea – ich würde sie gern mal sehen.«
»Sie?«
Shelley zuckte die Achseln. »Sie hat sich offenbar dafür entschieden, weiblich zu sein. Sie oder es ist immerhin eine der mächtigsten Software-Suites der Welt. Die Computerwissenschaft könnte revolutioniert werden, wenn man je rausfindet, wie sie funktioniert.«
»Und das ist alles«, sagte ich schleppend.
Sie stocherte in ihren Steakresten herum, um die Antwort hinauszuzögern. Dann sagte sie: »Na ja, Michael, da draußen gibt es eine Menge Leute, die sich Sorgen um Sie machen.«
»Oh.« Ich lehnte mich zurück. »Ich verstehe. Der Äther hat schon wieder vom Geschnatter über mich vibriert. Wer hat Sie angerufen? John? Onkel George?«
»Wenn Sie nicht wollen, dass man über Sie redet, sollten Sie Ihre Adressbücher unter Verschluss halten.«
»Shelley«, sagte ich ungeduldig, »ich möchte Sie nicht beleidigen. Ich bin wirklich froh, dass Sie hier sind. Aber ich bin zweiundfünfzig Jahre alt, Herrgott noch mal. Ich brauche kein Kindermädchen.«
»Ich bin nicht beleidigt. Wenn Sie mich beleidigt hätten, wäre ich nicht hier. Okay, Ihr Onkel hat mich gebeten, ein bisschen auf Sie aufzupassen. Aber ich wäre nicht gekommen, bloß um Babysitter zu spielen. Jedenfalls mag ich das Steak«, sagte sie pragmatisch.
Schwebetabletts kamen lautlos über den Boden gesegelt, und lange Killerroboter-Tentakel schlängelten sich heraus, um unsere Teller abzuräumen. Shelley wedelte mit der Hand über die Tischfläche; auf einem kleinen, eingelassenen Softscreen leuchteten Zahlen auf, die unseren Rechnungsbetrag anzeigten, und sie tippte ein paar Mal auf den Bildschirm, um ein Trinkgeld hinzuzufügen.
Von der Hauptstadt aus nahmen wir einen Kapselbus nach Norman im Süden, dem Sitz der Universität von Oklahoma.
Am Rand des Campus holte uns Doktor Vander Guthrie vom Bus ab. Er war Software-Animist von Beruf und, wie sich herausstellte, eine Art Kundenbetreuer der Einrichtung, deren Herzstück Gea war. Er mochte um die dreißig sein und war hoch gewachsen, aber von stämmiger, kräftiger Statur. Seine schlichte Kleidung bestand aus einem karierten Hemd, Jeans und Cowboystiefeln. Und er hatte einen verblüffenden, völlig unpassenden Schopf himmelblauer Haare.
Vander umarmte Shelley ein bisschen steif. Natürlich hatten sie früher zusammengearbeitet; manchmal hatte ich den Eindruck, dass Shelley schon mit jedermann auf dem verdammten Planeten zusammengearbeitet hatte.
Vander führte uns zu einem kleinen Elektrobus, der uns zum Computerzentrum bringen würde. Wir zwängten uns hinein und nahmen einander gegenüber Platz, wobei unsere Knie sich berührten. Der Bus machte einen Satz nach vorn und trug uns über den Campus. Vander war nervös; seine Bewegungen waren abrupt, ja sogar unbeholfen. Aber er schien sich ehrlich über unsere Anwesenheit zu freuen. Wie sich herausstellte, war Meteorologie schon seit Jahrzehnten ein Fachgebiet der Universität; sie hatten sich schon mit ihr beschäftigt, bevor sich die Klimaerwärmung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts bemerkbar gemacht hatte. Damals hatten sie noch gedacht, das Hauptproblem wären die Tornados.
»Es war also nur logisch, dass hier die erste Klimamodellierungssoftware-Suite der Welt entwickelt wurde«, sagte Vander. »Die meisten unserer Besucher sind allerdings Politiker auf der Suche nach einer Ausrede, mit der sie sich vor der Unterzeichnung irgendeines Vertrages drücken können, oder Medienleute auf der Suche nach einer weiteren knalligen Weltuntergangsgeschichte. Nicht, dass wir davon nicht jede Menge auf Lager hätten«, sagte er mit düsterem Humor. »Ein Besuch von zwei Ingenieuren ist also eine Art Urlaub für mich.«
Vander Guthrie war ein Bündel von Widersprüchen. Wenn er sich bewegte, sah ich die Muskeln und Knochen unter seinem karierten Hemd
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