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Trapez

Trapez

Titel: Trapez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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zugleich gespannt wie ein Bogen und geschmeidig wie eine Katze. Es dauerte nie länger, als die paar Minuten, die er brauchte, um zum Umkleidezelt zu gelangen, wo er dann begann, vor Erlösung von der unmenschlichen Spannung zu zittern, und absurde Lach anfälle oder ärgerliche Depres sionsausbrüche bekam. Launisch und wechselhaft wie er war, nutzten weder Angelo noch Papa Tony die Gelegenheit, ihn auf den Boden zurückzuholen, und sogar Johnny hielt Abstand. Mario sagte einmal zu Tommy, als sie sich umzogen: » Weißt du, Junge, es ist mir verdammt wert, meinen Hals zu riskieren, bloß damit sie mich hinterher eine Weile in Ruhe lassen.« Und Tommy fühlte einen Stich schmerzvollen Verstehens. Bei Mario, der sich nie über die strenge Familiendisziplin beschwerte oder dagegen rebellierte, ging es vielleicht tiefer als bei jedem anderen.
    Es gab kleinere Tragödien und ein oder zwei größere .
    Eine Frau im Luftballett verlor ohne ersichtlichen Grund ihren Halt und fiel zwölf Meter tief; sie wurde aufgehoben und aus der Manege getragen und starb Minuten spä ter im Umkleidezelt. Eines der Pferde aus der Freiheitsdressur brach plötzlich aus der Manege aus und sprang auf die Tribüne. Ein Sturm panischer Schreie, und die Zuschauer liefen in alle Richtungen. Das Pferd wurde ein paar Minuten später mit Prellungen, aber sonst unverletzt, wieder eingefangen, aber eine Frau unter den Zuschauern war drei Meter tief gefallen und wurde auf einer Trage fortgetragen. Ein unachtsamer Tierpfleger hatte irgendwie einen Elefanten gereizt und wurde sechs Meter entfernt mit einer Gehirnerschütterung aufgesammelt, nach einem milde tadelnden Klaps des Elefantenrüssels.
    Ende Juli machte Tommy seine routinemäßige Überprüfung des Netzes und testete die Spannung, indem er darin auf und ab sprang. Ganz in der Nähe hatte Mario eine freie Minute genutzt, um auf dem Drahtseil unter Jake Davis’ kritischen Augen zu üben. Als er lachend die Strickleiter herabstieg, gab er Tommy, der gerade aus dem Netz stieg, einen spielerischen Schubs.
    »Jake sagt, dass ich soweit bin, einen Obermann zu tragen. Du bist noch klein genug dafür. Willst du es versuchen?«
    »Um Himmels willen, nein«, erwiderte Tommy. »Seiltanzen ist wie mit Raubkatzen zu arbeiten; du mu ss t leicht verrückt sein, um es zu versuchen. Frag Stella, die probiert jeden idiotischen Trick aus, wenn sie jemand darum bittet!«
    »Das mache ich«, sagte Mario lachend. »Die ist dünner als du und leichter zu tragen.«
    »Na, pa ss aber auf, dass Johnny es nicht hört, wenn du sie fragst«, sagte Tommy. Dann, als er sah, dass Johnny aufs Fangtrapez geklettert war, stellte er sich auf die Strickleiter. Einer der Requisiteure stand in der Nähe. Er war nicht ihr üblicher Trapezbauer, aber Tommy dachte, dass er irgendwie bekannt aussah. Er war ein kleiner, älterer Mann mit faltigem, sonnenverbrannten Gesicht, und er hinkte stark – obwohl er behände genug zu sein schien.
    Sein Haar hatte eine verblichene rotblonde Farbe, aber es sah so aus, als ob es einmal so rot wie Tommys gewesen wäre.
    »‘zeihung«, sagte er, als Tommy anfing die Leiter hinaufzuklettern. »Aber bist du vielleicht der junge Mann namens Mario Santelli?«
    Tommy schüttelte seinen Kopf. »Nein, das ist Mario, da drüben. Der mit Jake Davis redet.«
    »Tut mir leid, ich habe selten Gelegenheit, mir die Trapezakte anzuschauen«, sagte der Mann. Obwohl er mit einem abgetragenen T-Shirt und verblichenen Jeans schäbig gekleidet war, sprach er mit gebildetem Akzent.
    Tatsächlich hatte er einen deutlichen Sprachrhythmus, der Tommy schwach an Betsy Gentry oder an Isabella Byrds Vater erinnerte, nicht ganz amerikanisch. Unter den Arbeitern und Requisiteuren, das wu ss te Tommy, gab es eine Reihe von Männern, die einmal ein anderes Leben geführt hatten. Man stellte nie Fragen nach jemandes Vergangenheit.
    »Ich hab’ gehört, dass einer von euch jungen Fliegern heutzutage einen Dreifachen macht. Also habe ich heute Morgen mit Sandy die Arbeit getauscht, damit ich vielleicht Gelegenheit habe, ihm beim Proben zuzuschauen«, sagte der kleine Mann, und Mario, der ihn hörte, hob seine schrägen Augenbrauen.
    »Möchten Sie ihn sehen? Okay, bleiben sie noch eine Weile hier.« Mario fing an zu klettern und rief nach Johnny am anderen Ende des Trapezes. »Ist Angelo noch nicht draußen ?«
    »Am Hintern seines Trikots ist eine Naht geplatzt. Er muss ein neues auftreiben«, rief Johnny. »Er wird schon kommen.

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