Trapez
stand auf, ging um den Tisch herum und legte eine Hand auf die zusammengefal lenen Schultern.
»Du hast mich falsch verstanden, Mario«, sagte er. »Ich droh’ dir nicht damit, dich zu verlassen. Ich hab’ bloß gefragt, ob es leichter für dich wäre? Ob ich abhauen soll?
Wenn du willst, dass ich bleibe, Mensch, du könntest mich nicht mal mit einem MG vertreiben.«
Mario hob seinen Kopf. Das Pflaster hatte sich von seinem Mund gelöst, und er blutete wieder. »Warum, zum Teufel, mu ss test du die dreckige Bemerkung über den Jungen machen?«
Tommy wollte schreien Stimmt’s oder stimmt’s nicht?, aber er wartete, um seine Stimme unter Kontrolle zu bringen. »Okay, ich war eifersüchtig.«
Mario legte eine Hand auf Tommys. Er sagte sehr leise:
»Du hast keinen Grund, eifersüchtig zu sein, Lucky, auf niemanden. Wenn ich den Jungen wegjagen soll, jage ich ihn weg.«
Tommy starrte auf den Fußboden . »Ach was, das letzte, was wir gebrauchen können, ist der Ruf, abweisend zu sein. Ein Pärchen.« Do ch dann platzte aus ihm heraus, was vom Zorn übriggeblieben war. »Es tut mir weh, dich vor einem Idioten wie Reddick kriechen zu sehen.«
Im Wohnwagen war es lange still. »Tommy«, sagte Mario schließlich , »Paul hat mich zu sich genommen, als ich völlig am Boden war. Ein Penner. Ein Nichts. Wie ich dir schon gesagt habe, habe ich ein Jahr so in Mexiko verbracht. Ich habe da unten auf einem Rummelplatz gearbeitet. Bin dann wieder rauf nach Tijuana gekommen und habe einen Job bei der miesesten Schwindel-Show in den Staaten angenommen – Arbeiter, Handlanger bei einem Rummel an der Grenze, Kartenabrei ß en auf dem Jahrmarkt. Wenn du glaubst, dass ich jetzt am Boden bin, hättest du mich damals sehen sollen.« Er war still, gedankenverloren, seine Augen weit weg, und schließlich hatte er genug Mut zu sagen: »Ich bin aus der Show rausgeworfen worden und habe sechzig Tage in El Paso im Gefängnis gesessen.«
»O Gott, wofür?«
»Na, was glaubst du wohl? Der Pflichtverteidiger hat die Anklage auf ›unsittlichen Lebenswandel‹ gedrückt, sonst hätte ich bis zu zehn Jahre bekommen können. Das war Texas.« Er starrte auf den Boden und fügte nach einer Weile hinzu: »Der Junge hatte rotes Haar. Ach Quatsch, er war kein Junge – er war vom Luftwaffenstützpunkt.«
Tommy traute sich nicht zu reden.
» Gie ß mir ein bi ss chen Kaffee ein, okay?« Mario hielt seine Tasse hin. Tommy schenkte Kaffee ein und bemerkte nicht, dass er etwas auf Marios Hand go ss . Mario nahm ihm die Kanne weg und stellte sie auf den Herd.
»Als ich rauskam, habe ich nach einem Job gesucht. Ich hab’ gehört, dass bei Blanding Akte fehlten, und er hat mich zu Reddick geschickt. Ich hab’ Paul alles erzählt.
Wir – wir sind ganz gut miteinander ausgekommen. E r hat mich genommen, mir einen Vorschu ss aus seiner eigenen Tasche gegeben und mich solange betreut, bis ich wieder in Form war und wieder auf die Beine gekommen war. Das einzige ist, dass ich ihm nie gesagt habe, dass ich je den Santelli-Namen benutzt habe. Er hat dem Bo ss nichts gesagt – Blanding würde niemanden anheuern, der was abgesessen hat. Ich hätte es nie alleine geschafft, Tom.«
Tommy wollte noch andere Fragen stellen, aber er war sicher, dass er keine Antworten bekommen würde. Er hatte anmaßend geglaubt, dass er Mario aus dem Dreck helfen würde. Jetzt stellte er fest, dass er keine Ahnung hatte, wie tief Mario schon dringesteckt hatte. »Reddick – ist er schwul?«
Mario zögerte lange, bevor er antwortete, und sagte schließlich : »Ich glaube, vielleicht. Aber er – er kämpft dagegen an. Das tun einige. Er hat nie darüber geredet, aber als ich’s ihm erzählt habe, hat es ihn auch nicht abgeschreckt. Vielleicht bin ich einfach nicht sein Typ.
Aber ich schulde ihm ‘ne Menge.« Er zögerte wieder und sagte dann: »Sieh mal, Lucky, wegen des Jungen, Jack, ich würde nicht weitermachen, nicht auf dem Platz, nicht wo der Bo ss was erfahren könnte, und Paul in Schwierigkeiten geriete.«
»Mein Gott«, sagte Tommy schließlich , »ich bin ganz klein vor Scham.«
Mario ergriff über den Tisch hinweg seine Hand. »Das war nicht meine Absicht, ragazzo. Nur, wie schon gesagt, Paul ist kein schlechter Kerl.« Er stand auf, reserviert, verlegen, in der altbekannten Art. »Dieser Kaffee ist scheußlich , ich mach’ neuen.«
Er ging im Wohnwagen umher und kam schließlich dahin zurück, wo Tommy zusammengesunken am Tisch saß .
»Junge,
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