Trapez
aufzunehmen? Sie waren immerhin Profis.
Nach der Show kam Ina Reddick zu ihnen. »Kommt zu unserem Wohnwagen, wenn ihr umgezogen seid«, sagte sie. »Wir müssen dem erfolgreichen Debüt irgendwie unsere Ehre erweisen.«
Der Reddick-Wohnwagen war grö ss er als der, den Tommy mit Mario teilte, sauber mit Vorhängen und mit einem kleinen, kläffenden Hund an einer Leine. Es gab Kaffee und kaltes Bier und Sandwiches mit dicken Scheiben Leberwurst. Sie aßen dankbar, und Ina, die faul auf einem Bett ausgestreckt lag, beobachtete sie mit einem Lächeln. Ihre Füße mit den langen, dunkelroten Zehennägeln waren nackt. Paul gab ihr eine tropfende Dose Bier.
»Feiere doch auch, Ina.«
»Kaffee gerne – ich kann es mir nicht leisten zuzunehmen.« Sie drehte sich mit einem Grinsen auf die Seite.
»Okay, Matt, raus damit. Wer seid ihr beiden wirklich?
Ich hab’ diesen Pa ss schon mal gesehen. Ich weiß bloß genau, dass der Name nicht Gardner war. Es gab mal einen Gardner bei Freres und Stratton, aber er hat mit einem blonden Mädchen zusammengearbeitet und hat Doppeltrapez gemacht …«
»Das ist mein Bruder Johnny und seine Frau«, sagte Mario nach einer Weile, und Tommy stellte fest, dass sie seltenes Pech hatten. Wie Randy Starr hatte Ina Reddick eins dieser unglaublichen Gedächtnisse, die es manchmal im Showbusine ss gab; sie vergaß niemals ein Gesicht oder eine Vorstellung.
»Also, was war es, zum Teufel? Es war nicht bei Starr, wo ich sie vor ein paar Jahren gesehen habe. Carey-Carmichael, Woods-Wayland…« Sie richtete sich plötzlich auf und zeigte auf ihn. »Irgendeine kleine Show«, sagte sie, »irgendwo in Oklahoma. Du warst noch ein kleiner Junge«. Sie nickte Tommy zu. »Und ihr zwei habt irgendeinen Trick an einem Trapez gemacht. So eine Duonummer. Da war ein alter Mann in der Show« – Sie runzelte die Stirn und bi ss sich auf die Lippen und suchte in ihrem Gedächtnis. Plötzlich schnippte sie mit den Fingern.
»Lambeth, das war’s, ›Flying Santellis‹.«
»Mario Santelli«, sagte Paul langsam. »Ja, ich hab’ gehört, wie dich der Junge mal Mario genannt hat.«
»Na, ich werd’ verrückt«, sagte Ina. »Später wart ihr bei Starr. Man hat dich mit Barney Parrish verglichen!
Versteckst du dich vor dem Gesetz oder was?«
»Ich hab’ kein bi ss chen gelogen. Mein richtiger Name ist Matthew Gardner. Der Santelli-Akt ist nur auseinandergefallen, nachdem mein Großvater starb, und ich wollte den Namen nicht so billig verkaufen.«
»Ja«, sagte Paul gezwungen. »Das ist wohl ein ganz schöner Abstieg von Starr. Mensch, du hast Dreifache gemacht. Du hättest es mir sagen können – ich hätte dich nicht verraten«, fügte er hinzu. Und Tommy entdeckte, dass verletzte Eifersucht in seiner Stimme mitschwang.
Ein großer Teil des Fliegens ist unterdrückte Homosexualität. Die meisten Leute denken bloß nie darüber nach …
»Wir sollten geehrt sein«, sagte Ina. »Ich glaub’, ich nehm’ doch ein Bier. Wir fangen damit an zu feiern, dass ein Junge eine Chance bekommt und finden heraus, dass ein Team sein Comeback hat!«
Der Sarkasmus traf einen wunden Punkt. »Hör damit auf«, sagte Tommy, »wir haben das nicht freiwillig gemacht; ihr habt es uns aus der Nase gezogen.«
»Okay, okay, dann feiern wir.« Paul klang auch merkwürdig. »Nehmt euch ein Bier, Matt, Tom.«
Tommy nahm sich ein Bier. »Das erste Mal , dass ich wieder geflogen bin, seit« – er bemerkte Marios mi ss billigendes Stirnrunzeln – »seit ich zur Armee gegangen bin.
Kann doch Mrs. Reddick nicht allein trinken lassen!«
»Ina«, sagte sie lächelnd, und für Tommy war es wie ein Warnsignal.
Schwierigkeiten.
Paul sagte: »Ich glaub’, ich weiß jetzt, warum du ein bi ss chen herumgetönt hast. Wie, zum Teufel, seid ihr beiden in so einer Klitsche gelandet?«
Mario zuckte die Achsel. »Ich hatte mir in einem Jahr mal mein Handgelenk gebrochen, mu ss te lange Zeit pausieren. Wie landet man überhaupt irgendwo?«
Paul ließ es gnädig dabei bewenden, aber Ina konnte es nicht fallen lassen.
»Mir scheint, dass da noch was war. Habt ihr nicht eine Saison lang bei Woods-Wayland gearbeitet? Coe Wayland ist ein Freund meines Bruders. Mir scheint…« Sie runzelte die Stirn und Tommy fühlte, wie sich die kleinen Haare entlang seinem Rückgrat aufrichteten.
»Du denkst wahrscheinlich daran, als mein Großvater am Trapez starb«, sagte Mario. »Er hatte mitten in der Luft einen Herzschlag und fiel meinem Onkel
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