Trapez
eigentlich verstehen wir uns doch, wenn wir uns beherrschen. Versprechen wir uns, nie wieder so eine Rangelei anzufangen, hm?«
Tommy fühlte den alten, halbvergessenen Schmerz in sich aufsteigen, der ihn fast zerri ss . »Beim Einhalten von Versprechen haben wir nicht viel Glück gehabt.«
»Nein«, sagte Mario mit erstickter Stimme. »Hilft es dir zu wissen, dass ich mich so verdammt schäme, dass ich sterben könnte?«
Tommy schüttelte ohne zu sprechen den Kopf. Das würde es nur noch schlimmer machen. Er wu ss te tief im Innersten, dass sie dieses Mal zusammenbleiben mu ss ten, oder sie würden untergehen. Aber ihm war nicht klar, warum. Er war nicht weltgewandt oder Philosoph genug, um sich als das Instrument für Marios Seelenheil zu sehen, aber er war irgendwie immer auf Zehenspitzen um diesen Gedanken herumgegangen, und jetzt wu ss te er auch, dass er zutiefst beschämt über seine Anmaßung war.
Er wu ss te, dass viel mehr Eigennutz dahintersteckte.
Es ist meine Aufgabe, ihn heil wieder zurück an die Küste zu kriegen. Aber es ist auch, weil ich ihn heil brauche. Wir müssen noch einen Weg finden zusammenzuleben, ohne uns so zu zermartern. Und das ist meine Aufgabe, weil seine Nerven völlig dahin sind, und meine sind ziemlich gut beieinander.
Er lehnte seinen Kopf zurück an Mario, drehte sich dann um und legte seine Arme um Marios Taille. Er merkte nicht, dass das instinktiv eine Geste war, die er oft gemacht hatte, als er noch ein kleiner Junge war.
»Mensch, Junge«, murmelte er. »Wenn es dir was nützen würde, mich zusammenzuschlagen, würde ich dich wahrscheinlich lassen. Aber du zermarterst dich hinterher noch viel schlimmer.«
»Oh, du verrückter Kerl«, flüsterte Mario. »Du verrückter, dummer Kerl.« Und dann wurde ohne Übergang aus ihrem ernsthaften, beschwörenden Handschlag eine wilde Umarmung. Zum ersten Mal ahnte Tommy, wie diese Spannung in Mario arbeitete; dann verschwand der Gedanke. Für eine Weile hingen sie bloß aneinander, als ob sie durch irgendeinen mystischen Vorgang tatsächlich schmelzen und ihre schmerzenden Körper ineinander pressen könnten – wie immer atemlos und ungeschickt, mit der notwendigen Unbeholfenheit zweier Männer, mit kurzem, heftigen Bedauern, dass sich ihre Körper weigerten , unmittelbar so zusammenzupassen, wie sie es brauchten. Dann murmelte Mario: »Komm, verdammt, komm«, und drückte ihn auf die Couch hinunter. Sie zogen sich nicht einmal ihre Sachen aus.
Am nächsten Tag kam Blanding und sah ihnen ein paar Minuten lang zu. Dann machte er Tommy ein Zeichen.
»Ich hab’ dir vor ein paar Tagen zugesehen. Ich hab’ dir gesagt, wenn du etwas in der Show machen könntest, würde ich dir eine Gehaltserhöhung geben. Möchtest du mit den Fliegern auftreten?«
»Was wird Reddick sagen?«
»Was Mr. Reddick sagt, spielt keine Rolle, Söhnchen.
Ich rede mit Reddick.«
Paul Reddick klopfte ein paar Stunden später an ihre Wohnwagentür und versuchte, liebenswürdig zu sein.
»Matt, der Bo ss will deinen kleinen Bruder in die Nummer nehmen. Wie wär’s?«
»Ist mir recht«, sagte er mit einem Achselzucken, aber als Reddick gegangen war, sah er Tommy finster an:
»Was, zum Teufel…«
»Sieh mal, ich hör das auch zum ersten Mal . Blanding ist einfach heute Morgen zu mir gekommen und hat mich gefragt, was ich davon halte.«
Mario sah ihn scharf an und entspannte sich dann. »Ja, ich weiß – Blanding ist so verrückt nach Nummern, dass er den Chandler-Jungen nach oben schicken würde, wenn ich nichts dagegen hätte.«
»Und er wäre nicht viel schlechter als Ina Reddick.«
Mario zog eine Grimasse. »Vorsichtig, la ss das Blanding nicht hören. Sie ist Blandings Schwester.«
Es war komisch, wieder vor einem Publikum zu sein.
Einige Leute in diesen kleinen Städten hatten ihn vielleicht bei Lambeth auftreten sehen, als er noch ein Kind war. Auf dem Podest hatte er die Eingebung, Ina Reddicks Timing zu verbessern, sie in eine klassischere Haltung zu zwingen, und er fragte sich, wie Mario diese schlampige Nummer durchstehen konnte, ohne dass sich seine alte Leidenschaft für das Unterrichten und für Perfektion zeigte. Hatte er sie vollständig verloren?
Tommy war so nervös wie jeder Flieger bei einem fremden Fänger. Und doch vertrauten sie ihnen alle ihr Leben an. Paul und Ina Reddick wu ss ten nichts über ihn und waren doch bereit, auf Mario zu hören und sich ihm anzuvertrauen. Was hielten sie davon, einen Neuling in ihrem Akt
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