Trapez
der Einfahrt gesehen? Und er hat einen Partner mitgebracht. Eine junge Frau. Wir müssen auch was für sie finden. Na ja, Lucia muss irgendwas auftreiben.« Er nickte Tommy kurz zu, was offensichtlich nett gemeint war. »Fühl dich wie zu Haus, mein Junge.«
Mario öffnete eine Tür an der rechten Seite des Flurs, die in einen großen , langen, hohen Raum führte. Dicke, sonnengebleichte Vorhä nge waren von Erkerfenstern auf zwei Seiten zurückgezogen und ein offenes Feuer brannte in einem riesigen Kamin. Um das Feuer herum, mit ihren Rücken zu Tommy und Mario, saße n eine Menge Männer, Frauen und Kinder, ein paar in Ledersesseln mit hoher Lehne, ein paar auf abgewetzten Lederpuffs und ein Mädchen, ungefähr in Tommys Alter, mit einem kleineren Jungen auf dem Fußboden . Mittendrin stand ein gutaussehender blonder Junge, humorvoll gestikulierend, und Tommy hörte ihn sagen: »… und da habe ich dem alten Frenzel gesagt, was er mit seinen Befehlen machen kann. Und ich habe nicht abgewartet, um zu sehen, ob er es tat oder nicht. In der Nacht, während sie die Seitenwände abbauten, bin ich hinter die Lastwagen g eschlichen und habe dem Requisi tenchef gesagt, um was es ging. Er hatte die Wahl. Er konnte Stella die Ausrüstung ihres Vaters geben, ohne viel Theater zu machen, oder ich hätte ihm…«
Eine kleine, dunkle Frau stand von einem Stuhl auf und kam schnell zu ihnen herüber. Sie stand auf Zehenspitzen und nahm Tommys Schultern zwischen ihre Hände. Sie sah ihn eine Minute lang ernst an und lächelte dann.
»Also das ist Tommy«, sagte sie. »Mein Sohn hat eine ganze Menge von dir erzählt. Matt, ich hab’ dich nicht reinkommen hören.«
»Wer könnte das schon, mit Johnny in der Hauptmanege«, lachte Mario leise. »Tommy, das ist meine Mutter, Lucia Gardner. Lucia, wo bringen wir ihn unter? Mein altes Zimmer?«
»Nein. Wenn Papa Tony mit dem Training anfängt, wirst du hier die meiste Zeit schlafen. Was ist mit dem alten Zimmer neben Angelos?«
»Das Kinderzimmer? Du lieber Himmel , Lu. Die Wiege steht immer noch da. Liss wird sie für das Baby haben wollen, und ich hab’ dir schon gesagt und sage es dir jetzt noch mal, ich schlafe nicht hier!«
Lucia Gardner breitete ihre Hände mit einer humorvollen Geste aus. Tommy fiel auf, dass sie einmal eine sehr schöne Frau gewesen sein musste . Die Zeichen der Schönheit waren noch vorhanden, die hohe intelligente Stirn, die weit auseinanderliegenden dunklen Augen unter schrägen, geschwungenen Augenbrauen – genau wie Marios – , die dem Gesicht ständig ein fragendes Aussehen gaben. Sie war klein, vollbusig, aber mit schlanker Taille und hübschen, schlanken Händen. Sie hob anmutig ihre Schultern und sagte: »Na ja, es ist wohl nicht mehr meine Sache, dir zu sagen, wo du schlafen sollst«, und wandte sich wieder Tommy zu. Sie hatte sehr schnell an ihm vorbei mit Mario geredet. »Zieh deinen Pullover aus, Tommy. Hier.« Sie nahm den Pulli – wieder bemerkte und registrierte er die Genauigkeit und Schönheit ihrer Bewegungen – und legte ihn auf einen Tisch, so, als ob es eine Tanzbewegung wäre. »Komm ans Feuer und begrüß die Familie. Es wird Johnny nicht schaden, mal aus dem Scheinwerferlicht herauszutreten!«
Mario hielt seine Mutter am Arm zurück. »Ist Liss noch nicht da?«
»Sie hat aus San Francisco telefoniert. Davey hat Husten und ein bisschen Temperatur. Deswegen kommen sie erst runter, wenn er wieder gesund ist.«
Mario war schwer enttäuscht. »Ich wollte, dass Tommy Liss kennenlernt.«
»Na ja, du könntest vielleicht deinem Bruder guten Tag sagen«, schalt Lucia gutmütig. Sie wirbelte herum und rief: »Johnny.« Ihre Stimme war nicht laut, aber sie hatte die Autorität eines Peitschenknalls. »Sei einen Moment still!«
Sie zog Tommy nach vorne, in die Mitte der Gruppe, und stellte ihn mit ausgebreiteten Armen vor.
»Dies ist Tommy Zane. Ihr wisst doch, er ist letzten Sommer zum ersten Mal mit uns aufgetreten.«
Tommy stand stumm da, eingeschüchtert durch die geballte Aufmerksamkeit auf den ihm zugewandten Gesichtern, die alle eine leichte Ähnlichkeit hatten. Zum Glück kam ihm Mario zu Hilfe und ging durch die Stühle auf ihn zu.
»Unser neuer dritter Flieger. Geht nicht alle auf einmal auf ihn los. Er ist nicht an Santellis en masse gewöhnt.«
Johnny, der plötzlich sein Publikum verloren hatte, kam zu ihm hinüber. Er musterte Tommy, sagte dann: »Hi, Matt. Ist das der Schützling, von dem uns Lu erzählt
Weitere Kostenlose Bücher