Trapez
anders als sonst. Nur seine Stimme und sein Grinsen waren vertr aut. »Wann bist du angekommen?« fragte Mario.
»Gegen vier heute Morgen . Hast du uns nicht gehört?
Lucia ist runtergekommen und hat mir Kaffee gemacht.
Seitdem haben wir in der Küche gesessen und geredet.«
»Nein, ich hab’ hier nicht geschlafen, ich bin nur früh gekommen, um das Netz aufzubauen, bevor ich zur Arbeit mu ss . Wie war Mexiko?«
»Höllisch heiß , wie immer, und genauso nervig. Staub, kein Trinkwasser, Pferde werden krank, und diese verdammte Fliegernummer hat mehr Zeit damit verbracht, hinter den Señoritas her zu sein, als an ihre Arbeit zu denken. Einer hat an den f alschen Stellen gejagt und sich – na du weißt schon – was eingefangen, und ich mu ss te die Saison damit beenden, in der Fliegernummer einzuspringen, verflucht seien sie. Vorgestern Nacht sind wir von Laredo aufgebrochen. Tessa fand es toll. Sie plappert jetzt spanisch so schnell, dass nicht mal ich mitkomme.
Sie wollte sogar einen Stierkampf sehen, aber ich dachte, ich sollte irgendwo eine Grenze ziehen. Sie war ganz aufgeregt, weil sie da unten eine kleine Freundin hatte und Ehrengast bei ihrer Erstkommunion war. Es gab eine Messe in der Missionskirche eigens für die Kinder. Und natürlich war Tessa der Liebling bei allen in der Show.
Sie ritt in der Parade mit, und ein Mädchen aus einer
›Römischen Leiternummer‹ hat ihr Überschlag und Handstand beigebracht. Hat ihr sogar mal einen Sicherheitsgürtel umgelegt und sie auf eine der rotierenden Leitern gelassen. Das habe ich ihr natürlich ganz fix ausge trieben. Aber nur drei Tage später mu ss te ich raufklettern und sie von der Luftleiter runterholen. Sie ist ganz allein auf die Plattform hochgeklettert. Der kleine Teufel!«
Mario lachte. »Das kenn’ ich doch. Ich glaube, dass Johnny das gleiche versucht hat, als er fünf war.«
»Ja, weiß ich noch. Ich hab’ ihm auch den Hintern versohlt. Tess hat mich d en ganzen Rückweg lang damit ge plagt, dass wir sie dieses Jahr mitreisen lassen.«
»Warum lä ss t du sie nicht? Bei Lambeth sind ‘ne Menge Kinder.«
»Wenn Liss noch bei uns wäre – klar würde ich Tess mitbringen. Schlimm genug, wenn ich acht Monate im Jahr von meinem eigenen Kind weg sein mu ss «, sagte Angelo.
»Wo ist sie jetzt? Hast du sie im Kloster gelassen?«
»Nein, sie ist oben in Lucias Bett. Ist nicht mal aufgewacht, als ich sie ins Haus brachte. Nächstes Wochenende bringe ich sie runter nach Holy Name. Weißt du, ich hab’ Lucia erzählt…«
»Hey«, unterbrach Mario abrupt, »wie spät ist es?«
»Viertel vor acht«, sagte Angelo und Mario pfiff.
»Schlu ss und raus, Tommy, du mu ss t zur Schule«, befahl er. Tommy, gehorsam wi e immer, fühlte ein unterschwel liges Bedauern, als er den Raum verließ und die Unterhaltung wieder lebhafter wurde.
Er war unruhig, seltsam aufgeregt, als er am Nachmittag in die Übungshalle zurückkam. Mario und Angelo, jetzt beide in Übungskleidung, standen am Fuß der Strickleiter; sie wandten ihre Köpfe kurz Tommy zu, als er hereinkam, aber beachteten ihn nicht weiter. Er zog seine Schuhe aus, stand da und wartete, dass etwas passierte. Nach einer Weile kam Papa Tony herein, gefolgt von Lucia. Er sah sich mit durchdringendem Blick um, seine Nasenflügel bebten vor Verachtung.
»Angelo«, sagte er, »willst du etwa die Saison mit einer Runde Bohnern beginnen?«
Lucia hielt die Hand vor den Mund, um ein Lächeln zu verbergen. Angelo, d er geistesabwesend ein Päckchen Zigaretten aus seiner Pullovertasche genommen hatte, steckte es schnell zurück.
»Wo ist Johnny?« fragte Papa Tony. »Üben er und seine junge Freundin nicht mit uns?«
Lucia sagte schnell: »Sie haben mich gebeten, ihnen beim Einstudieren einer Nummer zu helfen, Papa. Sie werden abends üben, wenn sie nicht im Weg sind.«
Papa Tony warf Angelo noch einen kurzen Blick zu, sagte aber nur: »Sehr gut! Sollen wir dann anfangen? Es wäre ganz gut zu wissen, was wir bis zum Frühling alles schaffen müssen.«
Als sie eine Pause machten, war Tommy atemlos, tropfna ss vor Schweiß , mit seinen Nerven zu Fuß ; aber jetzt erkannte er, dass es nicht nur die Anfänger waren, auf denen herumgetrampelt wurde. Heute hatte sich Papa Tony auf Angelo konzentriert, aber auch Mario war ihm nicht entwischt. Angelo und Mario hatten sich gegenseitig so laut kritisiert, mit Brüllen und Knurren, dass sie Tommy an ein paar junge Löwen erinnerten. Und Tommy bekam es von
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