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Trapez

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Titel: Trapez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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oder Begriffsstutzigkeit die Schuld für Marios erschöpfte Geduld gegeben. Später begann er sich dann zu fragen, ob Marios Aufmerksamkeitsspanne kurz war. Erst vor kurzem hatte er bemerkt, dass da noch etwas anderes war. Mehr als gewöhnliche Reizbarkeit, etwas, das überhaupt nichts mit ihm, mit Tommy, zu tun hatte.
    Mario kniete auf dem Fußboden mit gesenktem Kopf und schüttelte verzierte, bestickte Westen und Gürtel aus.
    Tommy beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Seine Haare fielen ihm in den Nacken, und er hatte einen Haarschnitt nötig. Er trug Latzhosen, einen abgetragenen, schwarzen Rollkragenpullover – Tommy fragte sich, wie viele er wohl davon hatte und ob er jemals etwas anderes trug – und flache, geflochtene mexikanische Sandalen.
    »Kleiner…«, sagte Mario schließlich .
    »Ja?«
    »Sieh mal, du hast einen Nerv getroffen, das ist alles.
    Tut mir leid, dass ich so explodiert bin. Es ist eine lange Geschichte und keine sehr schöne. Ich erzähl’ dir ein andermal davon. Hier, hilf mir dieses Durcheinander zu sortieren. Wirf all diese Handtücher dort drüben hin. Sie müssen alle gewaschen werden.«
    Tommy kam und fing an, den Haufen zu sortieren; Hosen, Gürtel, bestickte Oberteile, Handtücher und Umhänge . Mario hob eine Rolle des zollbreiten Musselin-Bandes auf, mit dem sie ihre Handgelenke umwickelten, spielte damit herum und rollte es fester. »Tom, noch was.
    Tu mir einen Gefallen, ja?«
    »Klar, wenn ich kann.«
    »Du weißt ja, dass wir dich als Tommy Santelli ankündigen werden. Also, hör zu. Ich bitte dich jetzt nicht, zu lügen oder so, aber wenn ich dich irgendwo mit hinnehme – und das könnte sein –, werde ich dich einfach so vorstellen und alle im Glauben lassen, dass du mein kleiner Bruder bist, okay? Auch wenn ich dich mal Tommy Gardner nenne, widersprich mir nicht, ja?«
    »Ja sicher, wie du willst«, stimmte Tommy verwirrt zu.
    Mario hob seinen Kopf und grinste jetzt wieder. »Siehst du, ich nehme das, was Papa Tony gesagt hat, sehr ernst, denn was er gesagt hat, war hauptsächlich zu meinem Besten, nicht zu deinem.«
    »Verstehe ich nicht«, sagte Tommy vollkommen verblüfft.
    »Macht’s dir was aus, mein kleiner Bruder zu sein?«
    »Verflixt, wenn du es ertragen kannst, kann ich es auch«, sagte Tommy. Er dachte wieder, dass man bei Mario nie wusste , woran man war.
     
    Am nächsten Morgen, unten in dem riesigen Übungsraum, fingen sie an zu arbeiten. Tommy sah sich kurz in einem der alten Spiegel, als sie ein paar vorbereitende Streckund Dehnübungen machten, dünn und langbeinig, in einem zu kleinen T-Shirt und Turnhosen. Schon vor langem hatte er die Befangenheit überwunden, aber seine relative Ungelenkigkeit machte ihm Sorgen.
    Mario, mit nacktem Oberkörper, in eingelaufenen schwarzen Trikothosen mit Flicken an Knien und Fü ss en, hielt sich an der Ballettstange fest, die sich über die gesamte Länge der Wand erstreckte und machte Dehnübungen. Er drehte sich um und grinste.
    »Du brauchst nicht mehr als ein bis zwei Tage, um wieder geschmeidig zu werden. Vergiss nicht, ich habe den ganzen Winter trainiert. Ich bin natürlich in Form.«
    Er stellte sich auf Spitzen. »Übrigens, weißt du, was das Schlimmste ist, was mir je passiert ist? Ich war, na, vielleicht 15, und ich übte für einen Ballettabend. Ich war ziemlich stolz auf mich, weil ich all die ausgefallenen Sachen konnte, hohe Sprünge, schnelle Drehungen, Pirouetten. Wusstest du, dass ein Balletttänzer Pirouetten genau wie ein Flieger lernt? Ganz genauso? Und ich konnte die Beine am höchsten werfen. Und eines Tages rümpfte Mr. Court – er war unser Lehrer – seine Nase und sagte: ›Der Ärger mit dir ist, Matt, dass du kein Tänzer, sondern ein gottverdammter Akrobat bist!‹ Ich war noch klein genug, um nach Hause zu laufen und zu heulen«, lachte Mario. »Das komische ist, er hatte nicht die geringste Ahnung, wie Recht er hatte. Er wusste nicht, dass Liss und ich aus einer Zirkusfamilie kommen. Er hatte es bloß so als Schimpfwort gebraucht.«
    Tommy lachte mit Unbehagen. »Als ich klein war, sagte Dad, dass das Schlimmste, was man zu jemandem im Showbusiness sagen konnte, war: ›Mögen alle deine Kinder Akrobaten werden! ‹«
    Mario ließ die Stange los. »Los, lasse uns das Netz aufspannen und die anderen überraschen, wenn sie runterkommen.«
    Sie arbeiteten schweigend, und Mario, voll konzentriert und ohne sich ablenken zu lassen, hörte alle paar Minuten auf, um zu prüfen und zu

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