Trapez
Pflaster so raufklebe, verspeist du mich zum Frühstück, du Idiot.« Tommy benutzte die Schere mit beiden Händen, bewegte sie vorsichtig und versuchte, sie durch das verdrehte Klebeband zu bekommen. Schließlich schnitt er behutsam, und die Enden gingen auseinander. Tommy legte die Schere hin, nahm die Enden des Pflasters und ri ss .
Mario keuchte: »Autsch! Verdammt!«
»Du hast mir oft ge nug gesagt, es schnell runterzurei ß en , nicht zentimeterweise. Ist es nicht besser so?«
»Ich glaub’ schon.«
Mario nahm Tommys Handgelenk, das immer noch
leicht mit Musselin umwickelt war, in seine Hand. Die Berührung war so behutsam im Vergleich mit dem leichten Klaps, der ihr gewöhnliches Zeichen auf dem Trapez war oder dem rauen Stoß , mit dem er Aufmerksamkeit befahl oder einen Befehl durchsetzte, dass Tommy verwundert aufsah, versucht, sich zu entziehen. Dann zwang er sich, leicht beschämt, sich zu entspannen und ließ sein Handgelenk in Marios Hand liegen. Genau in dem Moment, als Mario sein Erstarren fühlte und ihn loslassen wollte.
»Hör zu Tom«, fing Mario an. Dann bekümmert: »Hör zu, ich wollte mit dir über… na ja, über gestern Abend reden… und jetzt weiß ich plötzlich nicht, was ich sagen soll.«
Tommy fummelte mit dem verhedderten, klebrigen, durchschnittenen Pflaster herum. Er sah sehr jung aus und verwirrt, seine Stirn pellte sich, die nackte Haut seiner Schultern schuppte in kleinen Fetzen ab.
Mario sagte beiläufig: »Mit dem Sonnenbrand siehst du wie ein Stück rohes Fleisch aus. Roh oder gut durch?«
Tommy knüllte das Band zu einem kleinen Ball zusammen, immer noch, ohne aufzusehen. »Du mu ss t gar nichts sagen«, sagte er. Dann warf er plötzlich den klebrigen Klumpen auf den Fußboden und sah Mario geradewegs an, vorwurfsvoll. »Du wu ss test verdammt gut, dass ich wach war, nicht wahr?«
»Pa ss auf, was du sagst«, warnte Mario automatisch.
Dann, als er genau erkannte, was Tommy gesagt hatte, ließ er seine Stirn auf seine geballten Fäuste fallen. »Jesus, Tommy!«
»Also wu ss test du’s? Ich meine: Wu ss test, dass ich nicht schlief? Glaubst du, ich hab’ nicht geschnallt, was du wolltest? Was glaubst du eigentlich, was für ein dummes Häschen ich bin?«
Mario errötete dunkel. Die Adern auf seiner Stirn schwollen an.
»Ja«, sagte er, »ich hab’s gewu ss t. Gut, ich wu ss te, dass du mit den anderen keinen Ärger machen würdest, und ich wollte, dass du weißt , du könntest aufhören, wann du wolltest, indem du aufwachst oder so tust als ob. dass ich nicht versucht habe, dich zu irgendwas zu zwingen, was du nicht wolltest. Ich wollte, dass du weißt …«
Er konnte nicht zu Ende reden.
»Vergi ss es, vergi ss es. Ich hätte nicht damit anfangen sollen.«
Tommy sagte mit leiser Stimme: »Ich bin froh, dass du es getan hast. Ich, äh – ich war mir nicht sicher.«
»Na, jetzt weißt du’s.« Mario wandte sich ab. »Nenn es wie du willst. Schwul! ‘ne Tunte! ‘n Perverser! Oder vielleicht was Schlimmeres.«
»Mu ss t du so schlecht davon reden?« Tommy hörte seine eigene Stimme zittern, versuchte verzweifelt, sie zu beruhigen. »Ich wollte drüber reden, weil… ich wollte sagen, ich … ich glaub’, ich hab’s gewollt, und wenn du bist, was du sagst, dann bin ich wohl auch so, nicht wahr?«
Mario ging einen schnellen Schritt auf Tommy zu, beugte sich über ihn, mit starrem Gesicht. »Sag so was nicht! Um Gottes willen, Kleiner!« Er packte die Schultern des Jungen mit einem raschen, schmerzhaften Griff.
»Autsch!« sagte Tommy bebend, »mein Sonnenbrand!«
Marios Hände lockerten sich und glitten an Tommys Armen herab; er hielt ihn so fest. »Kleiner, es tut mir leid. Du – du hast da einen Nerv getroffen, das ist alles. Worüber wolltest du reden? Das bin ich dir wohl schuldig.«
»Ich weiß nicht, eigentlich nichts. Viele Sachen. Du magst keine… Frauen?«
»Nicht sehr. Nicht so. Oh, Gott«, sagte Mario mit erstickter Stimme. »Ehrlich, ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Und Angelo und Papa Tony können jeden Augenblick zu uns stoßen . Ich will deinen Fragen nicht ausweichen – ich schwör dir, dass wir drüber reden, wenn du willst. Nur nicht hier, nicht jetzt. Aber – aber du bist mir nicht böse? Ich wu ss te, dass du mich nicht verraten würdest. Aber ich – ich hab’ mich schrecklich geha ss t.«
Tommy wandte wieder sein Gesicht ab, ohne zu wissen warum. »Nein, ich bin dir nicht böse. Aber ich versteh’ es nicht. Nicht
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