Trau dich endlich!: Roman (German Edition)
konnte.
Gabrielle Donovan ließ den Blick über die Läden und ihre bunten Markisen rechts und links gleiten, während sie in ihrem schwarzen Lexus-Cabrio die Hauptstraße entlangfuhr. Es hatte sich nicht viel verändert. Ein paar Geschäfte waren neu, moderner, aber im Großen und Ganzen war alles beim Alten geblieben. Ob das wohl auch auf Derek Corwin zutreffen mochte?
Von ihrer langjährigen Freundin Sharon Merchant wusste Gabrielle, dass Derek vor einem halben Jahr in seine Heimatstadt zurückgekehrt war. Gabrielles Eltern waren in etwa zur gleichen Zeit von Florida nach Boston gezogen, und sie war ihrem Beispiel vor einem Monat gefolgt. Sie hatte immer in der Nähe ihrer Eltern gewohnt, zumal sie sich recht nahestanden und sie als Schriftstellerin so gut wie überall leben konnte.
War es Zufall, dass auch Derek ausgerechnet jetzt wieder nach Stewart gezogen war?
Gabrielle schüttelte den Kopf. Es gab keine Zufälle. Sie glaubte zwar nicht an Flüche, aber sehr wohl an Schicksal und wahre Liebe. Und Derek Corwin war ihre große Liebe gewesen.
Von dem Augenblick an, als sie einander in der sechsten Klasse zum ersten Mal in der Cafeteria begegnet waren, hatte immer eine besondere Verbindung zwischen ihnen bestanden. Aus einer guten Freundschaft war mit der Zeit Verliebtheit geworden. Ein Tanz auf einer Schulfete hatte zu einem Kuss geführt, und von da an waren sie unzertrennlich gewesen, hatten nach der Schule jede freie Minute miteinander verbracht, ihre Hausaufgaben gemeinsam erledigt und alle Geheimnisse geteilt.
Derek und Gabby, Gabby und Derek. Er war ihr zweites Ich gewesen, von der achten Klasse bis zum Schulabschluss. Natürlich hatte sie von dem Fluch gewusst – jeder in der Stadt wusste davon –, und obwohl sie selbst nicht an derlei Dinge glaubte, akzeptierte sie in Anbetracht seiner Familiengeschichte, dass Derek wie alle Corwin-Männer die Macht des Fluches fürchtete. Von Liebe hatte er nie gesprochen, selbst dann nicht, als er die Beziehung nach dem Abschlussball beendet und ihr damit das Herz gebrochen hatte. Ihr war klar gewesen, dass er es nur deshalb getan hatte, weil er sie zu sehr liebte und fürchtete, mit seinen Gefühlen den Fluch zu aktivieren, wenn sie weiter zusammenblieben. Er hatte sie nicht einmal nach ihrer Meinung gefragt, ihr gar keine Wahl gelassen.
Doch jetzt hatte sie eine Wahl, und sie war zu dem Schluss gekommen, dass das Schicksal sie nach all der Zeit nicht ohne Grund noch einmal in seine Nähe führte. Für Gabrielle bestand kein Zweifel: Sie bekamen eine zweite Chance. Jetzt musste sie nur noch herausfinden, ob es zwischen ihnen noch genauso heftig funkte wie früher.
Ihre Erinnerungen an Derek waren so präsent wie eh und je. Sie hatte ihn und die Beziehung zu ihm derart idealisiert, dass ihm kein anderer Mann auch nur annähernd das Wasser hatte reichen können. Keiner hatte sie je so gut verstanden wie Derek, keiner ihr so viel gegeben wie er. Keiner war Derek gewesen.
So hatte sie sich von einer Beziehung zur nächsten gehangelt, weil kein Mann ihre Erwartungen zu erfüllen vermochte. Und jetzt, nach Jahren der erfolglosen Suche, bot sich ihr die Gelegenheit, einen Abstecher in die Vergangenheit zu machen und zugleich herauszufinden, ob eine Zukunft mit Derek im Bereich des Möglichen lag. Wenn nicht, wusste sie zumindest Bescheid und konnte die Angelegenheit endgültig ad acta legen.
Da kam es ihr wie gerufen, dass ihre beste Freundin als Bibliothekarin in der öffentlichen Bücherei der benachbarten Gemeinden Perkins und Stewart arbeitete. Mit der Einladung, dort einen Vortrag zu halten, lieferte ihr Sharon den perfekten Grund, ihrer Heimatstadt einen Besuch abzustatten. Gabrielle freute sich auf den Abend, rechnete jedoch nicht damit, dass Derek aufkreuzen würde. Wie sie ihn kannte, würde er einen großen Bogen um ein Ereignis machen, bei dem öffentlich über den Corwin-Fluch geredet wurde, und auf ihre Menschenkenntnis war normalerweise Verlass.
Aber das machte nichts – Gabrielle hatte in Bezug auf Derek ohnehin andere Pläne.
Ihr erstes Reiseziel an diesem Vormittag war das Rhodes Inn gewesen, eine alte Frühstückspension mit gerade mal drei Zimmern. Obwohl Boston nur eine Autostunde entfernt war, hatte Gabrielle vor, ein paar Tage zu bleiben. Deshalb hatte sie sich bei der liebenswürdigen Adele Rhodes eingemietet, die Gabrielle in der fünften Klasse unterrichtet und damals ihre Liebe zur Schule
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