Trau niemals einem Callboy! (German Edition)
mit der gleichen Zahlenkombination versehen wie den zu Hause. Es sollte also nicht allzu schwer sein.
Aus diesem Grund überwache ich in den frühen Morgenstunden die Einfahrt zur Tiefgarage. Ich muss wissen, ob Ron wie gewöhnlich am Wochenende ein paar Arbeitsstunden einlegt. Wenn ich Glück habe, liegt ein ganz normaler Samstag vor ihm, was bedeuten würde, dass er bis mittags arbeitet, um danach ins Fitnessstudio zu gehen. Sobald er das Büro verlassen hat, werde ich die Gelegenheit nutzen, um mich dort umzusehen.
Zum ersten Mal seit Langem bin ich froh, als ich Rons Mercedes sehe. Mit einem leisen Schnurren verschwindet er in der Einfahrt der Tiefgarage.
Wenn Ron seine Gewohnheiten nicht geändert hat, wird er bis etwa ein Uhr im Büro sein.
Es bleibt mir also jede Menge Zeit. Das Blöde ist nur, dass ich keine Ahnung habe, was ich damit anfangen soll. Ich könnte in die nahe gelegene Goethestraße zum Schaufensterbummeln gehen, aber irgendwie habe ich keine Lust dazu. Mir wäre es lieber, wenn ich die Fragen, die mir auf der Seele liegen, alle beantworten könnte. Und zwar jetzt gleich. Da das nicht möglich ist, entscheide ich mich für die zweitbeste Alternative, und die lautet, im Café Laumer einzukehren.
Leises Gemurmel empfängt mich, als ich das altehrwürdige Café betrete. Das Laumer ist noch ganz im Geiste alter Zeiten eingerichtet. An der Kuchentheke warten üppige Torten darauf, dass man der Versuchung erliegt. In der Glasvitrine gleich daneben schimmern dunkelbraune Pralinenberge. Die gediegene Atmosphäre wird durch klassische Musik untermalt.
Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, als ich die Auslage betrachte. Diese Sachertorte sieht gut aus. Kurz darauf zergeht die Schokolade in einer bittersüßen Explosion auf meiner Zunge. Ist das gut! Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal eine Sachertorte gegessen habe. Muss in meiner Kindheit gewesen sein. Als Erwachsene war ich viel zu sehr damit beschäftigt, auf meine Figur zu achten.
Müßig blättere ich in der Frankfurter Allgemeinen . Aber die Nachrichten interessieren mich nicht. Eine schlechte Meldung jagt die andere: Eurokrise, Griechenland am Rande des Konkurses, steigende Inflation. Und dann fällt mein Blick auf eine Meldung. Saugt sich daran fest, und ich vergesse zu atmen.
„Wurde Frankfurter Banker Opfer der Eurokrise?“ , lautet die Überschrift. Darunter ein Artikel, der in den Auswirkungen der Griechenlandpleite schwelgt. Obwohl der verschwundene Banker davon nicht unmittelbar betroffen ist, wird Selbstmord vermutet. Die Polizei … mehr darüber auf Seite 3.
Leise murmelnd scanne ich mit meinen Blicken die entsprechende Seite, bis ich den Rest des Artikels gefunden habe … Das ist er! Der Tote. Die Leiche in meinem Wohnzimmer, die jetzt in unserem Garten ihre letzte Ruhestätte gefunden hat. Mir wird schwindelig, denn nicht weit unter dem Bild des Toten stehen Worte, die nichts Gutes verheißen. Der Tote heißt Michael Barelli. Und die Bank, für die er arbeitet, ist die Bank, deren Geschäftsführer Ron ist.
Mit zitternden Händen lasse ich die Zeitung sinken. Hole tief Luft. Obwohl ich annahm, dass Ron in die Sache verstrickt sein musste, versetzt mir die Meldung einen Schlag. Schwarz auf weiß zu lesen, dass der Tote ein Angestellter von Ron war, ist etwas anderes, als nur einen Verdacht zu haben. Der Tod scheint jetzt viel näher, viel persönlicher.
Ich nehme einen großen Schluck von dem Kaffee. Eigentlich wäre mir etwas Stärkeres lieber, aber im Moment muss Koffein ausreichen, denn ich brauche jetzt, mehr denn je, einen klaren Kopf.
Zum Glück bin ich wesentlich gefasster, als ich kurz nach ein Uhr das Gebäude von Rons Bank betrete. Sein Mercedes hat vor wenigen Minuten die Tiefgarage verlassen.
„Guten Tag, Frau Hartwig“, begrüßt mich der Pförtner, an dem ich mit einem freundlichen Nicken vorbeieile. Die erste Hürde wäre geschafft. Das Dumme ist nur, dass gleich darauf die zweite in Form von Frau Gardner, Rons Sekretärin, vor mir auftaucht. Mist . Mit ihr hatte ich nicht gerechnet. Was hat sie am Samstag hier zu suchen? Vor allem, nachdem Ron schon gegangen ist?
„Ich würde gerne Ron sehen“, erkläre ich ihr und überspiele meine Enttäuschung.
„Herr Krämer ist vor ein paar Minuten gegangen. Sie müssten es am Montag wieder versuchen.“
Das werde ich mit Sicherheit nicht tun. Stattdessen sage ich laut: „Das macht nichts. Ich muss nur etwas aus seinem Büro holen“,
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