Trau niemals einem Callboy! (German Edition)
den großen Blumenkübel, der direkt neben mir steht. Es dauert ziemlich lange, bis ich keine Sternchen mehr sehe. Fast bedauere ich, dass ich weitermachen kann. Irgendwie war es angenehmer, hilflos herumzustehen, denn das hat mich davor bewahrt, etwas tun zu müssen.
Jetzt aber muss ich ihn in den Garten bringen. Obwohl ich weiß, dass mir nichts anderes übrig bleibt, kann ich mich nicht dazu motivieren, diese Absicht in die Tat umzusetzen. Erst nach langem innerlichem Zureden ziehe ich eine Hälfte der Plane über den reglosen Körper. Das ist besser, denn jetzt ist er unter der Abdeckung nur noch zu erahnen und starrt mich nicht mehr anklagend an. Dann fasse ich die Abdeckung an einer Ecke, die so weit wie möglich von dem darauf liegenden Körper entfernt ist, und schleife das Ganze hinter mir her.
Ist das schwer. Ich schwitze, als wäre ich in der Sauna gewesen. Dabei bin ich noch nicht einmal über die Terrasse hinausgekommen.
Keuchend bleibe ich stehen und wische mir den Schweiß ab. Und dann weiter. Noch mindestens hundert Meter. Wenn ich in diesem Tempo weitermache, brauche ich dafür den ganzen Tag.
Und dann höre ich es. Schon wieder.
Die Türklingel.
Scheiße. Scheiße. Scheiße. Wenn das noch mal die Polizei ist, kann ich mir gleich lebenslänglich geben lassen.
5
Die Leiche muss weg. Zumindest so weit, dass sie von der Terrasse aus nicht mehr zu sehen ist. Ich komme mir vor wie ein chinesischer Kuli. Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt, fette Touristen in einer Rikscha durch die Gegend zu kutschieren.
Wieder das Klingeln. Verdammt. Fünf Meter noch. Plötzlich ein Geräusch, das mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt.
Die Türschlösser öffnen sich. Eines nach dem anderen. Da unser Eingang wie Fort Knox gesichert ist, dringen die Geräusche bis hier auf die Terrasse. Das kann nur meine Mutter sein.
Zwei Meter noch.
Der große Balken, der quer über der Tür liegt, quietscht. Den sollte Ron schon seit über einem Jahr ölen.
Eineinhalb Meter.
Jetzt fehlt nur noch das obere Schloss. Das Geräusch ist eigentlich zu leise, um es zu hören. Ich könnte schwören, dass ich das leise Klicken trotzdem wahrgenommen habe. Jetzt ist sie drin.
Ein Meter.
Mit einem heftigen Ruck zerre ich die Plane die letzten Zentimeter um die Ecke. Lasse das Ende los und sprinte ins Haus. Fast schlitternd komme ich vor meiner Mutter zum Stehen. Diese mustert mich ungläubig von oben bis unten. Fängt wieder oben an, öffnet den Mund, um etwas zu sagen. Schließt ihn. Ist offensichtlich sprachlos. Ein Wunder .
„Tamara, wie siehst du denn aus?“
Leider hat ihre Sprachlosigkeit nicht lange angehalten. Mit einer Hand wische ich mir den Schweiß von der Stirn und versuche mit der anderen, meine Haare in Form zu bringen. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass das ein aussichtloses Unterfangen ist. Als ich den Gartenhandschuh anschaue, entdecke ich schwarze Striemen. Bei meinem Glück zieht sich jetzt eine schwarze Spur durch mein Gesicht. Ich bin mir fast sicher, dass die Entdeckung einer Leiche meine Mutter weniger geschockt hätte als mein derzeitiges Aussehen.
„Ich hatte noch im Garten zu tun.“
„Aber das macht doch sonst immer Ron!“
„Der kommt erst am Mittwoch und ich wollte schon einmal den Sperrmüll herrichten ...“
„Muss das sein? Du siehst aus …, ich weiß gar nicht, wie ich es ausdrücken soll. Du siehst unmöglich aus. So aufgelöst habe ich dich noch nie erlebt.“
„Es ist heiß und schwül. Was glaubst du denn, welchen Eindruck jemand hinterlässt, der bei diesem Wetter Lei … Sachen durch die Gegend zerrt?“
„Kein Grund, pampig zu werden. Am besten duschst du erst einmal, dann zeige ich dir die Muster.“
„Du wolltest doch erst morgen kommen?“
„Ich musste direkt an deinem Haus vorbei. Da macht es ja keinen Sinn, morgen noch einmal die Umwelt zu verschmutzen.“
Ja, klar. Natürlich! Unser Haus liegt mitten in einem Wohngebiet. Meine Mutter hat keinen anderen Grund als einen Besuch bei mir, um hier vorbeizufahren.
„Und jetzt dusche endlich.“ Sie rümpft die Nase. „Du riechst ganz verschwitzt.“
Super . Der Gedanke, meine Mutter mit einer Leiche allein zu lassen, die nur wenige Meter von ihr entfernt hinter der Garage liegt, erfüllt mich mit Schrecken. Sie hat einen siebten Sinn, einen eingebauten Radar, die sie alles entdecken lassen, was ich vor ihr verbergen will. Dann fällt mein Blick auf ihre Schuhe.
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