Trauerspiel
müsse das Törchen abschließen. Auch die Chefin nicht. Susanne beruhigte ihren verstörten Küster und begleitete ihn in seine Wohnung.
«Sieht erst einmal nach einem Sexualdelikt aus, was meinst du?», fragte Arne Tanja.
Die hatte die Lippen zusammengepresst. «Kann sein, aber wenn, dann hat das nicht hinter den Mülltonnen stattgefunden. Der Platz wäre viel zu eng. Überhaupt glaube ich, dass die Mülltonnen nicht der Tatort sind. Sie ist erst nach ihrem Tod oder sterbend dort hingelegt worden, damit man ihren Körper nicht gleich entdeckt.»
«In der Tat, wenn der Küster nicht den Raum hätte richten wollen, wir hätten sie frühestens bei der nächsten Müllabfuhr gefunden», stimmte Arne zu.
«Das war intelligent überlegt. Aber wo hat er sie ermordet? Oder sie! Es könnte ja auch eine Frau gewesen sein. Und an was ist das Mädchen überhaupt gestorben? Ich kann keine Würgemale am Hals erkennen und auch keine Wunde an ihrem Körper. Rätselhaft, das muss die Obduktion dringend klären.»
Tanja überlegte. «Der Tatort dürfte nicht sehr weit von hier entfernt sein. Sonst hätte der Täter sie durch die ganze Altstadt schleppen müssen, und die war gestern Abend gut besucht, bei dem schönen Wetter. Wir waren ja auch unterwegs, du hast doch gesehen, wie viele Leute die Stadt bevölkert haben.»
Arne dachte nach. «Ich glaube, er oder sie hat sie hier ermordet, direkt vor dem Törchen, das zu den Mülleimern führt. Schau mal, der Mord kann nicht auf dem Leichhof passiert sein, erst recht nicht vor dem Dom oder auf dem Gutenbergplatz. Er oder sie hätte sie höchstens im Kofferraum eines Wagens hierherfahren können. Das wäre allerdings eine Möglichkeit gewesen, abends wäre das auch kaum aufgefallen, vom Karstadt aus am Bestattungsinstitut vorbei und dann hat der Wagen hier gehalten. Wer hätte schon darauf geachtet?»
Tanja nickte. «Wir müssen die Straße sorgfältig absuchen, du lieber Himmel, wer hier alles entlanggegangen ist seit gestern!»
Ein junger Mann bahnte sich den Weg durch die Menge. «Erler, Gerichtsmedizin», stellte er sich vor. Mit für sein Alter erstaunlich ruhigen und fast sanften Bewegungen untersuchte er Julias Leiche.
«Das Mädchen ist seit fast 24 Stunden tot, genauer kann ich es nicht sagen, aber wenn ich die warmen Temperaturen in Betracht ziehe und den Fundort, der relativ kühl ist… also, ich sage mal, sie ist gestern Abend gestorben. Was ihr zerrissenes Höschen betrifft: Ich weiß nicht, ob sie vergewaltigt wurde, das kann ich erst nach der Obduktion sagen. Verletzungen im äußeren Schambereich sind nicht festzustellen. Sie muss übrigens plötzlich gestorben sein, wenn sie nicht ein so junger Mensch wäre, würde ich auf einen Herzinfarkt tippen. Woran genau sie gestorben ist, kann ich nicht sagen. Auf den ersten Blick sehe ich keine Verletzung, keine Würgemale, auch keine Kratzspuren. Auch ihre Fingernägel sehen sauber aus. Bei einer Vergewaltigung finden sich dort sonst oft Spuren fremder Haut. Sehr merkwürdig, das Ganze. So etwas habe ich noch nie gesehen.»
Tanja dachte im Stillen, dass der junge Mann in seinem Leben ja noch nicht viel gesehen haben konnte. Aber das war ungerecht, er hatte sehr professionell und ruhig gearbeitet. Sie bedankte sich bei Dr. Erler und bat um eine möglichst schnelle, genaue Untersuchung. Dann kamen die Männer vom Bestattungsinstitut und sargten Julias Leiche ein, um sie in die Gerichtsmedizin zu bringen. Inzwischen war Susanne wieder zurückgekehrt. Der Küster hatte sich etwas beruhigt. Nicht unwesentlich hatte dazu ein großes Glas seines selbstgebrannten Holunderschnapses beigetragen.
«Morgen muss unbedingt in der AZ und in der Rheinzeitung ein Foto von Julia erscheinen, damit wir wissen, wer sie am Abend noch gesehen hat. Wir brauchen dringend ein Foto von ihr. Tja, und irgendwer wird es ihren Eltern sagen müssen.» Tanja blickte Susanne an. «Bist du dieser Irgendjemand?»
Susanne nickte tapfer. «Am besten, ich sage es ihnen. Ich kenne sie ja auch gut, und vor ein paar Monaten habe ich erst die Oma beerdigen müssen. Geht ihr mit?»
Arne nickte. «Wir begleiten dich. Was die Eltern von Julia zu erzählen haben, das wird auch für uns ganz interessant sein.»
* * *
Das Haus in der Goldenluftgasse machte einen gepflegten Eindruck und strahlte die Würde eines alten Mainzer Bürgerhauses aus, das die Bomben des 27. Februars 1945 überstanden hatte. Es war hellblau gestrichen, die Fensterrahmen weiß abgesetzt.
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