Trauerspiel
ich habe das schon gesagt, aber nicht so.»
«Was soll das heißen?»
«Also, ich habe schon etwas zum Thema Wahrheit gesagt, neulich z. B., bei meinen Konfirmanden. Das kann schon gut sein, dass ich da gesagt habe, dass Wahrheit über alles geht oder dass die Wahrheit ans Licht kommen muss. Ja, und bei der Sache mit Sven und Julia, da habe ich auch etwas dazu gesagt, aber gerade das Gegenteil, also, dass ich nicht verantwortlich bin dafür und nicht schuld an ihrem Tod. Das klingt irgendwie, als ob jemand aus Sätzen von mir eine böswillige Collage geschnipselt hätte.»
Tanja trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. «Deine Konfirmanden haben bestimmt nicht so ein fieses Geständnis fingiert. Dazu sind sie glücklicherweise zu jung und hoffentlich auch zu unschuldig. Fällt dir noch jemand ein, dem du etwas über das Thema Wahrheit und über Julia und Sven erzählt hast?»
Susanne grübelte. «Eigentlich nicht. Außer, na ja, aber der kann es ja nicht sein, also, Julias Onkel, der hat mich ja zum Thema Wahrheit interviewt. Und neulich hat er mich doch gewarnt, dass ein Kollege die Sache mit Sven ausschlachten will. Ob irgendjemand da mitgeschnitten hat? Das Telefon abgehört hat oder so?»
Tanja war aufgesprungen. «Warum sollte das irgendwer getan haben? Julias Onkel liegt doch viel näher! Wo wohnt er?!»
«Kurfürstenstraße 13», antwortete Susanne, sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Michael Berger etwas mit dieser Angelegenheit zu tun haben könnte.
«Dann hatte er es ja nicht weit bis zum Zollhafen», meinte Arne sarkastisch. «Als Journalist verfügt er auch über die allerbesten technischen Möglichkeiten, deine Aussagen zusammenzuschneiden.»
«Aber das müsste man doch merken, irgendein Knacken oder so, wenn was weggeschnitten wird. Und man spricht doch nicht immer in der gleichen Tonhöhe!», protestierte Susanne.
«Keineswegs», widersprach Arne. «Die können heute mit der Computertechnik Texte so gut zusammenschneiden, dass die Nahtstellen überhaupt nicht mehr zu erkennen sind. Eine Aufnahme an sich gilt schon längst nicht mehr als zuverlässiges Beweismittel.»
Tanja hatte zum Hörer gegriffen. «Ein Michael Berger in die Fahndung. Alle verfügbaren Einsatzwagen in der Nähe der Kurfürstenstraße bereithalten. Dietrich und ich fahren in Zivil hin. Und bitte einen Wagen zum Sender, falls Berger dort sein sollte. Checkt doch gleich, welches Auto er fährt, das muss auch in die Fahndung.»
* * *
«Warum ist er dieses große Risiko eingegangen?», fragte Susanne später.
«Nun, so groß war das Risiko eigentlich gar nicht», erklärte Tanja. «Wenn der diensthabende Beamte nicht so schnell geschaltet und uns alarmiert hätte, dann hätte Berger alle Zeit der Welt gehabt. Es war auch dein Glück, dass wir noch im Präsidium waren.»
Arne warf ein: «Und dass du, Tanja, gleich die ganze Sache durchschaut hast. Ich habe das nicht so schnell kapiert!»
Tanja fuhr unbeirrt fort. «Berger hatte einfach Pech. Ihm fehlten, ich schätze einmal, entscheidende fünfzehn Minuten, um sein Vorhaben umzusetzen.»
Susanne fröstelte. «Fünfzehn Minuten…», sagte sie laut. Meine Güte, am Ende verdankte sie dem schrecklichen Herrn Dr. Kremer ihr Leben! Was wäre geschehen, wenn er sie nicht endlos am Telefon festgehalten hätte?
Tanja nickte. «In der Tat, fünfzehn Minuten. Mehr Zeit hätte er nicht gebraucht, um dich zu ertränken. Und niemand hätte später geglaubt, dass dieses Geständnis ein Zusammenschnitt war. Es war deine Stimme, deine Stimmfärbung, einfach perfekt. Fast der perfekte Mord.»
«Ich kann es immer noch nicht glauben, er war so sympathisch! Der arme Kerl, welche Dämonen haben ihn angetrieben?» Susanne war noch immer fassungslos.
Tanja schüttelte mitleidig den Kopf. «Langsam zweifele ich wirklich an deiner Menschenkenntnis als Pfarrerin. Du hattest es mit einem der raffiniertesten und brutalsten Mörder zu tun, die es hier in Mainz je gegeben hat – hoffentlich jedenfalls. Denn gnade uns Gott, wenn in unserer schönen Stadt noch mehr solcher Typen herumlaufen. Dieser ‹arme Kerl› hätte dir ohne zu Zögern eines seiner Schaschlikspießchen ins Herz gerammt, so wie der armen Julia. Aber ich sehe schon bildlich vor mir, wie du ihm im Gefängnis die Hand zur Versöhnung reichst. ‹Welche Dämonen haben ihn angetrieben?› Pfarrer sind echt nicht normal! Dieser Typ ist supergefährlich, Susanne, wie eine Spinne, die an Fäden gezogen hat, und ihm war es
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