Trauerweiden
Heiko.
Der Türöffner surrte, und die Stimme sagte »Zehnter Stock.« Wenig später standen die beiden vor der Wohnung. Ein älterer Mann hatte die Tür einen Spalt weit geöffnet. Er hatte eine Glatze und trug einen grau-roten Wollpullover. »Wegen Jessica?«, fragte er.
Die beiden nickten.
»Bitte«, sagte der Mann, wohl Herr Waldmüller, und trat zur Seite. »Bitte, nehmen Sie Rücksicht auf meine Frau. Sie ist total durch den Wind.«
Er führte die beiden ins Wohnzimmer, wo eine Frau auf einem braunen Cordsofa lag. Sie wirkte verheult, ihr graues Haar hing in Strähnen um ihre Schläfen. Nur widerwillig öffnete sie die geröteten Augen und begrüßte die Kommissare. Umständlich setzte sie sich auf. Sie trug ein rosafarbenes Twinset, das irgendwie nicht so recht zu ihr passen wollte. Heiko sah sich um. Die Einrichtung schien noch original aus den Sechzigern zu stammen. Gelbe Tapeten mit Blümchenmuster, orange Auslegeware. Ein Fest für Retrofreunde.
»Herzliches Beileid, Frau Waldmüller. Und Ihnen natürlich auch.«
Herr Waldmüller nickte.
»Wissen Sie schon was?«, fragte die Frau mit brüchiger Stimme. Heiko tat sie leid.
»Ihr Kollege hat gesagt, sie wurde erstochen?«
Heiko nickte.
»Wie furchtbar«, murmelte die Frau. »Meine arme Kleine.«
Lisa legte eine Hand auf den Arm der Frau und drückte ihn ein wenig. Eine hilflose Geste, das wusste sie. Aber die Frau verstand sie und rang sich zu einem Lächeln durch.
»Wir können noch etwas für Ihre Tochter tun, nämlich ihren Mörder finden«, sagte die Kommissarin.
Frau Waldmüller schniefte und nickte.
»Wissen Sie, ob Ihre Tochter Feinde hatte? Hatte sie Krach mit irgendjemandem? Schulden?«
»Ach, entschuldigen Sie, jetzt habe ich Ihnen gar nichts zu trinken angeboten.«
»Nein, nein, wir wollen nichts trinken, danke«, beruhigte Lisa Frau Waldmüller. »Beantworten Sie einfach die Frage.«
Die Frau senkte den Blick, als würde sie sehr genau überlegen. Dabei wirkte sie verwirrt, geradezu verstört. »Ob das Kind … Feinde … ich weiß nicht … «
»Diese Monika hatte eine rechte Wut auf sie«, schaltete sich nun Herr Waldmüller ein, der die knochige Hand seiner Frau ergriffen hatte und sie unablässig streichelte. »Wegen dem Florian. Weil er sich damals für Jessi entschieden hat.«
»Und außerdem?«
»Keine Ahnung.«
»Wann kommt Claudia?«, fragte Frau Waldmüller nun, in einem Ton, als nehme sie die Kommissare gar nicht wahr.
»Wer?«
»Unsere andere Tochter. Claudia. Sie kommt heute aus Heidelberg. Sie wohnt da«, informierte der Mann. »Claudia ist unterwegs«, meinte er und versuchte ein Lächeln.
Die Frau nickte und schien wieder wegzusacken. Waldmüller dachte hingegen angestrengt nach, schüttelte aber schließlich mit einem Blick auf seine Frau den Kopf und schlug vor: »Hören Sie, ich denke nicht, dass das gerade viel Sinn macht. Wenn uns noch was einfällt, rufen wir Sie an, in Ordnung?«
Heiko sah das genauso und reichte dem Vater eine Karte.
»Wir melden uns, wenn wir was wissen. Und mit Ihrer Tochter müssen wir auch noch sprechen. Mit Claudia, meine ich.«
»Die armen Leute«, meinte Lisa, als sie wieder draußen waren.
»Ja, schlimm.« Heiko zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. »Till hat gesimst. Er will mit uns heut Abend aufs Fest.«
Lisa zuckte die Achseln. »Okay«, meinte sie. Sie mochte Heikos Saunakumpel. »Aber nicht zum Saufen, oder?«
Heiko grinste. »Nein. Eher zu einer gemütlichen Fressorgie.«
»Aber zuerst nehmen wir uns noch die Monika vor«, meinte Lisa. Heiko seufzte. »Immer im Dienst, gell?«
Monika wohnte in Beuerlbach, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Crailsheim. Der Ort war nicht sonderlich groß, er bestand mehr oder weniger aus einer Hauptstraße, von der wenige Nebenstraßen in kleine Siedlungen abzweigten. Nach kurzer Zeit hatten die beiden Kommissare das Haus gefunden und standen endlich vor der Haustür. Es gab zwei Klingeln. Auf der unteren stand »Wacker«, auf der oberen »Silberschmidt«. Sie klingelten oben. Kurz darauf hörten sie Schritte auf der Treppe, und eine schlanke junge Frau öffnete. Lisa erkannte die »Anführerin« der Majoretten. Sie trug Jeans und T-Shirt. Ihr mittellanges, naturrotes Haar fiel ihr seidig über die Schultern. Zudem war sie dezent geschminkt. Hübsch, stellte Heiko fest. Verdammt, dachte Lisa, die hätte jetzt auch einen Tick hässlicher sein können.
»Ja?«, machte die Frau und zog die
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