Trauerweiden
schon eine interessante Persönlichkeit zu sein«, murmelte Heiko. Lisa saß mit angezogenen Füßen bei ihm auf dem Sofa. »So, wie alle Majoretten«, erwiderte seine Freundin bissig und beobachtete dabei Alfred, der seinen allabendlichen Auslauf genoss. Offenbar hatte er beschlossen, dass der Teppich ein feindliches Alien war und bekämpfte diesen nun mit aggressiv gereckten Ohren durch Beißen und Scharren. Sita, Heikos Hund, hatte sich schläfrig auf Lisas Füßen zusammengerollt und wärmte diese wohlig. »Du wirst doch nicht eifersüchtig auf die Majoretten sein«, frotzelte Heiko und brachte einen Kaffee. Lisa nahm die Tasse, ohne sich zu bedanken, und wirkte etwas beleidigt. »Hm«, machte Heiko. Gott, waren die Weiber kompliziert! Jetzt hatte er sich extra angestrengt, der Zeugin nicht auf das kurze Röckchen zu starren, und dann das. Lisa trank Kaffee. »Schon okay«, winkte sie ab, »ist nicht so wichtig.«
»Und, was hältst du nun von den Damen?«, fragte Heiko, um das Thema zu wechseln. Lisa wickelte gedankenverloren eine Haarsträhne fest um ihren Finger und sah zu, wie er sich weiß verfärbte. »Ach, weißt du, so viele Frauen auf einem Haufen … also, ich glaub nicht, dass das gutgeht.« Der Hase hatte sich nun einem Stuhl zugewandt, seinem Stuhl, um genau zu sein. Denn jeden Abend bearbeitete und benagte Alfred dieses eine Sitzmöbel. Eines Tages würde er ihn erledigt haben, und der Stuhl würde unter dem zusammenbrechen, der sich ahnungslos darauf setzen würde. Lisa war sich insgeheim sicher, dass der wilde Rammler genau das plante. Gott sei Dank war das Objekt seiner Begierde nur von Ikea und damit nicht besonders wertvoll. Alle anderen Stühle interessierten den Hasen nicht. »So, so ist das also«, murmelte Heiko, begleitet von lauten und überaus energischen Nagegeräuschen und dem Klang von splitterndem Holz. »Morgen sollten wir auf jeden Fall mit den Eltern des Opfers reden. Und diese Monika nehmen wir uns auch mal vor.«
Wenig später verabschiedete sich Lisa und fuhr heim. Heim nach Oonza, das ja eigentlich Onolzheim hieß, aber von niemandem in ganz Crailsheim so genannt wurde. Sie hatten das so geregelt, dass sie nicht jede Nacht zusammen verbrachten. Auf diese Weise blieb ihre Beziehung frisch und lief nicht Gefahr, vom Alltag gekillt zu werden. Wobei sie sich nicht vorstellen konnte, dass der Alltag mit Heiko so langweilig wäre. Denn auch wenn er nicht gerade mit Komplimenten um sich warf, sie niemals freiwillig in die Oper ausführte und sich auch hartnäckig weigerte, mit ihr tanzen zu gehen, so war er doch eigentlich perfekt. Gut, sie musste auf Gelaber à la »Hat es wehgetan, als du vom Himmel gefallen bist« verzichten. Aber das konnte sie. Gut konnte sie das. Auch, wenn ihre Mutter mit ihrem Freund so gar nicht einverstanden war. Es hatte ein halbes Jahr gedauert, bis sie sich einmal dazu herabgelassen hatte, ihn telefonisch grüßen zu lassen. »Grüße an den schwäbischen Schweinebauern«, hatte sie gehässig geknirscht, und Lisa hatte einfach nur »Gruß von Mutter« zu Heiko gesagt. Sie war eben nicht davon zu überzeugen, dass Heiko weder Schwabe noch Bauer war. Nun gut. Wichtig war, dass Garfield ihren Kerl mochte. Garfield war ihr Mitbewohner. Ein rotbraun getigerter Kater, benannt nach der lasagneliebenden, überaus fetten Comickatze aus den Achtziger Jahren. Schon hörte Lisa das auffordernde Maunzen durch die Tür. »Ja, ja, ist ja gut«, murmelte sie. Sie schloss auf, und Garfield hockte mit wild pendelndem Schwanz anklagend auf dem Teppich. Sofort schoss er in die Küche, Richtung Futternapf. Ihr Ex war ja der eindeutige Favorit ihrer Mutter gewesen. Stefan. Selbstständig. Kultiviert. Und ein Arschloch. Er hatte sie betrogen, mit einer Russin. Zuerst war sie traurig gewesen, traurig und verzweifelt. Dann hatte sie sich nach Hohenlohe versetzen lassen, egal wohin, Hauptsache, weg aus Wesel. In den ersten paar Wochen war es ihr wie ein anderer Planet vorgekommen. Aber sie hatte den Landstrich und seine Bewohner schätzen gelernt. Stefan war ihr nachgefahren und hatte sie um Verzeihung gebeten, aber sie hatte sich für Heiko entschieden. Und das war gut so.
Volksfestsonntag, 22. September
Heiko und Lisa läuteten. Jessicas Eltern wohnten in einem Hochhaus im Roten Buck. Das Hochhaus war in den Sechziger Jahren wohl einmal modern gewesen. Nun wirkte es charmant antiquiert.
»Ja?«, kam eine Stimme aus der Sprechanlage.
»Polizei«, informierte
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