Trauerweiden
immer war die Türe nur angelehnt, und sie betraten die enge Wohnstube, wo Sieger am Tisch saß und die Oma wie immer auf dem Sofa lag, um »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« zu sehen. »Hallo«, grüßte der Onkel sofort, wobei er vom Tisch aufstand und beinah an der niedrigen Decke anstieß. Natürlich war die Decke hoch genug, damit Sieger aufrecht im Raum stehen konnte. Trotzdem hatte Lisa immer den Eindruck, er müsste sich ein wenig ducken. Sie setzte sich neben die Oma aufs Sofa und wechselte einige Worte mit ihr, während Sieger und Heiko sich auf Hohenlohisch über die heutige Holzausbeute unterhielten. Sieger hatte einen ganz speziellen Hohenloher Slang drauf, der für Lisa noch schwerer zu verstehen war als das Crailsheimer Hohenlohisch. »Gemmer?«, fragte Heiko nach fünf Minuten Smalltalk. Sie verabschiedeten sich von der Oma, die sich während des Gesprächs wiederholt nach etwaigen Urenkelplänen erkundigt hatte, und fuhren los. »Soll mer der Lisa amol die Wollschweine zeicha?«, schlug Sieger vor, als sie sich auf die beiden Autos verteilten. Onkel Sieger fuhr stets seinen silberfarbenen Transporter, in den auch eine Fuhre Holz gut hineinpasste. »Kömmer«, stimmte Heiko zu.
Minuten später bogen sie zum Schweinegehege nach Haßfelden ab.
»Was bitte sind Wollschweine?«, fragte Lisa. »Ich dachte, es gäbe nur das Schwäbisch-Hällische Landschwein?«
»Das heißt Hällisch-Fränkisches Landschwein«, korrigierte Heiko. »Die andere Bezeichnung haben die Haller erfunden.«
Lisa grinste. »Also. Aber was, bitte, ist ein Wollschwein?«
»Das wirst du gleich sehen.«
Heiko parkte den M3 an einer Landstraße, die von Obstbäumen gesäumt war. Gegenüber befand sich eine Art Schafsweide. Heiko wies auf den Pferch. »Das sind Wollschweine.« Sieger hatte den Transporter hinter dem BMW geparkt und war zu ihnen gestoßen. Er leckte am Papier eines selbstgedrehten Glimmstängels, rollte ihn vollends zusammen und zündete ihn sich an. Zuerst sah Lisa gar kein Schwein. Denn in ihrer Vorstellung waren Schweine rosa. Schweinchenrosa, hieß es ja schließlich. Aber dann entdeckte sie die Schweine, die sich farblich kaum vom Boden der Weide abhoben. Es gab nur wenig Grün, das meiste war von den Schweinen zerwühlt worden. Lisa ging zum Gatter und stieß schließlich einen entzückten Schrei aus, als sie einige braune Ferkel entdeckte, die sich glücklich im Staub wälzten.
»Sind die aber süß«, befand sie, und Heiko und Sieger wechselten einen belustigten Blick. »Vor allem sind die gut«, präzisierte Sieger. »Hervorragendes Fleisch.«
Lisa bedachte den Onkel mit einem bitterbösen Blick und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Also die kann man doch nicht essen.«
Die Wollschweine hatten wohl ihren Namen von ihrem wolligen Aussehen. Ihre Borsten waren braun, nussbraun, wie Lisa festlegte, und einige Tiere trugen ganz entzückende Löckchen. Ein junger Eber näherte sich Lisas ausgestreckter Hand und ließ es zu, dass sie ihn an der Schnauze berührte. Es kratzte, und etwas Staub löste sich von der Schweineschnauze, die von braunen Knopfaugen flankiert wurde. Zu Lisas großem Bedauern schaffte sie es auch mit viel gutem Zureden nicht, eines der Ferkel zum Zaun zu locken, die Muttersau war viel zu aufmerksam und beäugte die Besucher misstrauisch. Sieger warf die Kippe zu Boden und trat sie aus.
»So, jetzt gehmer zum Mühler. Schweinebraten essen«, bestimmte er.
Lisa hatte sich strikt geweigert, nach dem Besuch bei den niedlichen Wollschweinen Schweinebraten zu essen, obwohl die Männer ihr versichert hatten, dass der ganz ausgezeichnet sei. Sie saßen im »Mohrenköpfle«, einem Restaurant, das nach dem Kosenamen für das Hällisch-Fränkische Landschwein benannt war, und hatten gut gegessen, Lisa aus Trotz ein Pilzomelette, die beiden Männer Medaillons vom Hällisch-Fränkischen Landschwein. Im Gegensatz zu Heiko und Sieger hatte sie den »komischen Zweig«, das frische Rosmarinästchen, nicht achtlos beiseite gelegt, sondern mitgegessen. »Ist das eigentlich ein Supermarkt?«, fragte Lisa nun, als sie einen Kaffee vor sich stehen hatten. Sie wies auf den linksseitigen Teil der großen Halle, in der sich auch das Restaurant befand. »Das ist der Regionalmarkt. Der wird von der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft betrieben«, erläuterte Heiko. »Hier gibt es fast ausschließlich Hohenloher Produkte.«
»Echt? Können wir da kurz rein?« Anders als in die meisten anderen Läden ging
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